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Ergebnisse eines internationalen Experten-Workshops
Weimarer Dreieck – Europas neuer sicherheitspolitischer Motor?

Autor: Andrea Rotter, M.A.
, Maria Geyer

Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, seinen Folgen für die europäische Sicherheitsordnung und die innenpolitischen Entwicklungen in den USA, die auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump hinauslaufen könnten, gewinnt das Weimarer Dreieck, also die Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich und Polen in (sicherheits-)politischen Kreisen wieder mehr an Bedeutung. Gemeinsam mit dem Polish Institute of International Affairs (PISM) hat die Hanns-Seidel-Stiftung Handlungsempfehlungen für die Zusammenarbeit des Weimarer Dreiecks entwickelt.

Berlin, Paris und Warschau: Das „Weimarer Dreieck“ könnte zum sicherheitspolitischen Motor Europas werden.

Wohl kein anderes Kooperationsformat innerhalb der Europäischen Union ist mit so vielen unerfüllten Erwartungen belastet wie das Weimarer Dreieck. Die anfangs hochgesteckten Ziele scheiterten oftmals an den politischen und praktischen Realitäten, weshalb das Format bislang weitgehend ohne konkrete Erfolge blieb.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, sein unklarer weiterer Verlauf und die Entwicklungen in den USA, die in Europa die Sorge vor der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus schüren, scheinen jedoch bisherige Kooperationshindernisse abgebaut und die Dringlichkeit eines gemeinsamen Vorgehens der großen drei Länder auf dem europäischen Kontinent erhöht zu haben.

Diese Annahme wird durch das Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens am 12. Februar 2024 in La Celle-Saint-Cloud, Frankreich, unterstrichen, bei dem die Länder ihren Willen bekräftigten, das sog. Weimarer Dreieck wiederzubeleben und dabei Frieden und Sicherheit in den Mittelpunkt der Agenda zu stellen.

Der Experten-Workshop in Warschau im November 2023 geht auf eine Kooperation zwischen dem Polish Institute of International Affairs (PISM) und der Hanns-Seidel-Stiftung zurück, bei der die Akademie für Politik und Zeitgeschehen und das Institut für europäischen und transatlantischen Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung ihre Ressourcen im Rahmen des HSS-internen Schwerpunktthemas „Sicher leben“ gebündelt hatten.

An dem Workshop nahmen Expertinnen und Experten aus Think Tanks und der Wissenschaft der Weimarer-Dreieck-Staaten Deutschland, Frankreich und Polen Mitte November 2023 in Warschau teil. Dort wurden sie mit zwei verschiedenen Szenarien zur Zukunft der europäischen Sicherheit konfrontiert. Das erste Szenario behandelte einen hypothetischen Regimewechsel in Russland. Das zweite Szenario betraf eine Bitte der Ukraine um Sicherheitsgarantien seitens der drei Weimarer-Dreieck-Staaten angesichts der schwierigen Lage der Ukraine an der Front und der schwindenden Unterstützung durch die Vereinigten Staaten. Die Experten wurden in „nationale“ Teams eingeteilt und mit der Ausarbeitung der nationalen Antworten auf die in den Szenarien dargestellten Entwicklungen beauftragt, die dann im Plenum vorgestellt und diskutiert wurden.

Szenarien-basierter Experten-Workshop in Warschau

Vor diesem Hintergrund veranstalteten das Polish Institute of International Affairs (PISM) und die Hanns-Seidel-Stiftung bereits im Winter 2023 einen szenarien-basierten Workshop in Warschau. Der Experten-Workshop, der Expertinnen und Experten aus Deutschland, Frankreich und Polen zusammenbrachte, fokussierte sich in seinen Szenarien und seiner Diskussion auf die weitere Unterstützung der Ukraine und deren Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur sowie auf den zukünftigen Umgang mit Russland. Der Workshop unterstrich trotz bestehender Differenzen in Berlin, Paris und Warschau, dass es möglich ist, eine gemeinsame Grundposition zu entwickeln und dabei die Interessen, Präferenzen und „roten Linien“ jedes der Weimarer-Dreieck-Staaten zu respektieren. Die Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Workshops wurden nun in einem englischsprachigen Report veröffentlicht.

Empfehlungen für die Sicherheitsagenda des Weimarer Dreiecks

Die Regierungen in Paris, Berlin und Warschau sollten das gegenwärtige Momentum nutzen, um das Weimarer Dreieck zu einem wichtigen Akteur und Impulsgeber in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu machen, indem sie einen substanziellen Weimarer Dialog aufrechterhalten, der auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung beruht und sich vorranging für eine Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung einsetzt.

Unterstützung für die Ukraine

Mit Blick auf die Ukraine und basierend auf dem Konsens, dass der Erfolg der Ukraine essentiell für die europäische Sicherheitsordnung ist, wurden folgende Schlussfolgerungen und Empfehlungen festgehalten:

  • Erhöhung der Unterstützungsleistungen für die Ukraine, u. a. durch den Ausbau der heimischen Kapazitäten der Verteidigungsindustrie und die nachdrückliche Förderung solcher Bemühungen auf EU-Ebene;
  • Erarbeitung eines gemeinsamen Ansatzes des Weimarer Dreiecks für den Verlauf des Krieges in den nächsten 12 Monaten, der auf einem gemeinsamen Verständnis der Kriegssituation, der militärischen Bedürfnisse der Ukraine, der Ziele Russlands, der Notwendigkeit, auf verschiedene mögliche Szenarien des Kriegsverlaufs zu reagieren, und einer Strategie beruht, die die Ziele für den bevorzugten Ausgang des Krieges mit den erforderlichen Mitteln in Einklang bringt;
  • Ankündigung eines Weimarer Unterstützungspakets, im Zuge dessen die entscheidende Militärhilfe für die Ukraine aufgestockt und besser koordiniert wird und das eher auf die militärischen Bedürfnisse der Ukraine als auf politische Zwänge abzielt. Folgende Optionen wären denkbar: die Ausweitung der Ausbildung für ukrainische Truppen, konkrete Schritte zur Steigerung der Rüstungsproduktion, die „Zusammenlegung“ bestehender nationaler Pläne für Waffen-, Ausrüstungs- und Munitionslieferungen sowie die gemeinsame Produktion und Lieferung von Waffen in einer späteren Phase;
  • Schaffung eines gemeinsamen Konsultationsmechanismus mit der Ukraine, der auch anderen interessierten europäischen Staaten offensteht, um mögliche Entwicklungen und Worst-Case-Szenarien wie militärische Rückschläge der Ukraine oder den Wegfall der US-Unterstützung zu prüfen und sich darauf vorzubereiten sowie gleichzeitig die Erwartungen hinsichtlich des Umfangs des machbaren Engagements der Weimarer Drei für die Ukraine zu steuern;
  • Verbesserung der strategischen Kommunikation, um die für die Aufrechterhaltung der Unterstützung erforderliche innenpolitische strategische Ausdauer aufrechtzuerhalten, den Rückhalt bei Partnern zu stärken und Russland Entschlossenheit und Zusammenhalt zu signalisieren;
  • Vertiefte Auseinandersetzung mit der Integration der Ukraine in die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), die die Auswirkungen der Beitrittsgespräche der Ukraine und einer eventuellen EU-Mitgliedschaft in allen Bereichen der GSVP untersucht, insbesondere im Hinblick auf die verteidigungstechnologische und -industrielle Basis, die operative Dimension und Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags, der den kollektiven Beistand unter den EU-Mitgliedstaaten beinhaltet;
  • Gemeinsame Strategie mit Blick auf den NATO-Gipfel in Washington, D.C., im Juli 2024, die die Ukraine der NATO-Mitgliedschaft näherbringen soll.

Weimar-Konsens beim zukünftigen Umgang mit Russland

Was das künftige Vorgehen der Weimarer Drei gegenüber Russland betrifft, so bestätigten sich in der Diskussion einige anhaltende Unterschiede zwischen Frankreich, Deutschland und Polen in Bezug auf innenpolitische Zwänge und die Einschätzungen Russlands. Insgesamt wurden auf dem Workshop jedoch weitreichende Gemeinsamkeiten herausgearbeitet, die als Grundlage für ein gemeinsames Vorgehen des Weimarer Dreiecks gegenüber Russland dienen könnten: die zentrale Bedeutung der Beteiligung und Zustimmung der Ukraine bei jeder Art von Verhandlungen, die Bevorzugung eines prinzipienbasierten und konditionierten Ansatzes bei allen diplomatischen Initiativen Russlands sowie der Konsens, dass keine voreiligen Änderungen an der Abschreckungs- und Verteidigungsstrategie der NATO vorgenommen werden sollten.

Folglich könnte das Weimarer Dreieck die folgenden Maßnahmen in Erwägung ziehen:

  • Vollständige Umsetzung der NATO-Beschlüsse von Madrid 2022 und Vilnius 2023, um die Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit gegenüber Russland zu verstärken, aber zugleich Förderung von Mechanismen zur Eskalationskontrolle (Krisen-Hotlines, military-to-military-Dialoge), um das Risiko einer militärischen Konfrontation zwischen der NATO und Russland zu verringern;
  • Kommunikation einer „Weimarer Vision“ von Leitprinzipien für eine künftige Strategie gegenüber Russland, die auf dem gemeinsamen Verständnis der ernsten Bedrohung durch Russland, der Verpflichtung, von unilateralen Initiativen gegenüber Russland abzusehen, und der Notwendigkeit, die Ukraine an allen Maßnahmen mit Blick auf den Verlauf des Krieges und ihre Rolle in der europäischen Sicherheitsordnung zu beteiligen, beruht;
  • Entwicklung eines gemeinsamen Weimarer Konzepts für Bedingungen und „rote Linien“ für die Aufnahme potenzieller diplomatischer Initiativen von Seiten Russlands, einschließlich überprüfbarer Schritte, die erforderlich sind, damit Russland seinen guten Willen und Glaubwürdigkeit in Bezug auf etwaige Verhandlungsangebote unter Beweis stellen kann, sowie für Maßnahmen für den Fall, dass Russland gegen künftige Vereinbarungen verstößt (z. B. ein snap-back-Mechanismus für Sanktionen ähnlich wie beim Nuklearabkommen mit dem Iran).

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Leiterin: Andrea Rotter, M.A.
Außen- und Sicherheitspolitik
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