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China im Wandel
Wohin treibt das Reich der Mitte?

Spätestens seit dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im November 2012 zeichnet sich ein vielschichtiger ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Wandel ab. Um über dessen Implikationen zu sprechen, lud die Hanns-Seidel-Stiftung am 28. Januar 2016 zum vierten Außenpolitischen Quartett.

Markus Taube, Mei Zhaorong, Saskia Hieber, Daniel Leese, Reinhard Meier-Walser

Markus Taube, Mei Zhaorong, Saskia Hieber, Daniel Leese, Reinhard Meier-Walser

Das Reich der Mitte steht vor innen- und außenpolitischen Herausforderungen, die strukturelle Reformen auf unterschiedlichen Ebenen verlangen. Unter der Moderation von Dr. Saskia Hieber, Akademie für Politische Bildung Tutzing, diskutierten Prof. Dr. Mei Zhaorong, ehemals langjähriger chinesischer Botschafter in Deutschland und heute Mitglied der Beratergruppe des chinesischen Außenministeriums, Prof. Dr. Markus Taube, Universität Duisburg-Essen, und Prof. Dr. Daniel Leese, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. 

Eines der bestimmenden Themen des Abends war die wirtschaftliche Entwicklung Chinas: Nach drei Jahrzehnten des steten Aufwärtstrends ebbt die chinesische Wirtschaftsleistung allmählich ab. Während sich frühere Wachstumsraten im zweistelligen Bereich bewegten, konnte im Jahr 2015 das Ziel von sieben Prozent Wirtschaftswachstum, das sich Peking lange Zeit selbst gesetzt hatte, erstmals nicht mehr erreicht werden. Zwar würden die alarmierenden Nachrichten über Chinas Wirtschaftsentwicklung nicht abreißen, doch nach Ansicht der Experten würde dies noch lange nicht zu einer ernsthaften Wirtschaftskrise führen: Bislang seien rund sieben Prozent jährliches Wirtschaftswachstum nötig gewesen, um den demographisch bedingten Überschuss an Berufseinsteigern aufzufangen. Aufgrund der rückläufigen demographischen Entwicklung und der alternden Bevölkerung sei dies allerdings nicht mehr im gleichen Maße notwendig. Mittlerweile schrumpfe die erwerbsfähige Bevölkerungsgruppe stattdessen, wonach weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängten als ältere Berufstätige ausschieden. Doch dies sei nur ein Grund dafür, dass man in Zukunft Wachstumsraten von nur 6,5 bis 7 % Prozent anvisiere: Die chinesische Regierung strebe einen Wandel hin zu einer nachhaltigeren und wettbewerbsfähigeren Wirtschaftsstruktur an. Hierbei stünden vor allem die Bekämpfung von Korruption, eine schrittweise Liberalisierung der Wirtschaft und die Förderung von Innovation im Vordergrund. Hatten zuvor viele ausländische Unternehmen ihre Produktion nach China ausgelagert, um von den vergleichbar günstigeren Produktionskosten zu profitieren, würden heute andere Produktionsländer im asiatischen Raum präferiert. Dies sei ein Beleg dafür, dass China als „Werkstatt der Welt“ zu teuer geworden ist, sodass die chinesische Wirtschaft neue Wege erschließen müsse. Der sog. „Industrie 4.0“, d.h. die Verknüpfung von Industrie und IT, solle eine besondere Rolle zukommen. Doch die Evolution vom Schwellenland hin zu einer vollwertigen Industrienation sei in den Augen der Experten durchaus schwierig und könne ab einem gewissen Punkt ins Stocken geraten. Um diese Transformation erfolgreich zu schaffen, müsse sich China in politischer und ökonomischer Hinsicht weiter öffnen. Zu den bisherigen Maßnahmen der wirtschaftlichen Umstrukturierung zählen unter anderem ein konsequentes Antikorruptionsprogramm sowie die gezielte Förderung von innovativen Ideen und Startup-Unternehmen. Darüber hinaus strebe Peking die Anerkennung Chinas als freie Marktwirtschaft durch die Europäische Union (EU) und die Welthandelsorganisation (WTO) an, die beispielsweise im Falle Russlands längst und unter vermeintlich schlechteren Voraussetzungen erfolgt sei. Solche Reformmaßnahmen, die langfristige Stabilität zum Ziel haben, könnten allerdings die Gefahr kurzfristiger Probleme bergen, wie zum Beispiel fallende Börsenkurse, eine geringere Bereitschaft zur Investition auf Seiten der Unternehmen sowie ein zunehmender Vertrauensverlust in die chinesische Führungsriege.

Neben der wirtschaftlichen Umstrukturierung sei in einem gewissen Maße auch ein gesellschaftlicher Wandel angestoßen worden. Dies äußere sich zum einen in der Bekämpfung der gerade unter der Landbevölkerung herrschenden Armut hin zu einem „bescheidenen Wohlstand“ und zum anderen in einer schrittweise kulturellen Öffnung, in deren Rahmen beispielsweise die Auslandsaufenthalte von Studenten gefördert würden. Zu unterschiedlichen Ansichten kam die Expertenrunde allerdings in der Frage, inwiefern ein innenpolitischer Wandel entgegen der oft vom Westen monierten demokratischen und rechtsstaatlichen Defizite feststellbar sei. So strebe Peking einerseits Reformen für mehr Rechtsstaatlichkeit und die Verbesserung der Entscheidungsfindungsprozesse an, die dem Volk mehr Mitspracherecht einräumen sollen. Andererseits sei die Herrschaft der Kommunistischen Partei nach wie vor in der Verfassung verankert. Gerade in diesem Kontext würde deutlich, dass auf Seiten Chinas und des Westens unterschiedliche Perzeptionen und Demokratieverständnisse vorherrschten, die im Dialog erörtert werden müssten.

Neben der inneren Entwicklung widmete sich die Runde auch Chinas Rolle in den internationalen Beziehungen, die nicht zuletzt durch die Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer immer wieder in den Fokus rückt. Seit 2008, spätestens jedoch seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jingping im Jahr 2012 sei ein strategischer Kurswechsel wahrnehmbar. Zwar halte China weiterhin an den Maximen der friedlichen Koexistenz fest, die wiederum keinerlei Einmischung in seine inneren Angelegenheiten duldeten, gleichzeitig trete es aber durchaus selbstbewusster für seine strategischen und regionalen Interessen ein. Dies werde unter anderem durch Initiativen wie die Neue Seidenstraße deutlich. Neben ökonomischen Vorteilen könnten derartige Projekte allerdings auch dazu dienen, schwellende Konflikte wie im Mittleren Osten durch wirtschaftliche Verflechtung zu entschärfen und die eurasischen Beziehungen zu stärken. Abschließend kehrte das Podium zur eingangs gestellten Frage zurück: Wohin treibt China? Die Experten waren sich einig, dass China nicht treibe, sondern strategisch seine Interessen, allen voran wirtschaftlichen Wohlstand und regionale Stabilität, verfolge. Hinsichtlich der europäisch-chinesischen Beziehungen sei ein fortlaufender kultureller und wirtschaftlicher Austausch unerlässlich, um bestehende Missverständnisse ab- und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen.

Andrea-Sophia Bär