Warum bleibt Russland für einige afrikanische Staatschefs ein attraktiver Partner? Die Gründe, warum sich Vertreter afrikanischer Länder auf den Weg nach St. Petersburg zum 2. Russland-Afrika-Gipfel gemacht haben, sind unterschiedlich.
Russland ist ein wichtiger Waffenlieferant, vor allem für die Länder Nordafrikas. Yevgeny Prigozhins Wagner-Gruppe ist in Mali, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und Libyen militärisch, politisch aber vor allem auch wirtschaftlich aktiv und stützt und schützt die autokratischen Eliten. Im Gegenzug bekommt Wagner Zugang zu Bodenschätzen.
Russland trifft in Afrika auch auf alte Partner, die schon während des Kalten Kriegs enge Beziehungen zur damaligen Sowjetunion pflegten und diese Verbindungen auch nach dem Zerfall der Sowjetunion gewissermaßen mit russischen Staatskonzernen aufrechterhalten haben, vor allem im Rohstoffbereich und der Rüstungsindustrie. An diese historisch gewachsenen Beziehungen konnte Putin mit seiner Afrikapolitik anknüpfen. Mit ihrer Teilnahme am Gipfel signalisieren afrikanische Vertreter auch westlichen Staaten, dass Afrika sich nicht diktieren lässt, mit wem es zusammenarbeitet.
Was viele afrikanische Staatenlenker mit Putin jedoch vor allem eint, ist eine empfundene Benachteiligung in der globalen Weltordnung, gepaart mit sozialistischer Semantik. Die Wahrnehmung, im vom Westen geschaffenen internationalen System benachteiligt zu werden, hat sich nach der Covid-Pandemie und im Zuge der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bei den AU-Mitgliedsstaaten nochmals verstärkt. Dass sowohl Europa als auch die USA in der Vergangenheit nicht im nötigen Ausmaß geholfen haben dringend benötigten Arbeitsplätzen in Afrika zu schaffen und in ihrer eigenen Außenpolitik Doppelstandards erkennbar sind, nutzt Russland, um sich als Partner mit gemeinsamen Interessen und Werten im Kampf gegen den gerne als imperialistisch bezeichneten Westen zu präsentieren. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auf der stark anti-westlich geprägten Agenda des Gipfels auch ein Panel zur "Neuen Weltordnung" durchgeführt wurde.
Für Putin war der Gipfel wichtiger als für Afrika. Nach der Meuterei der Wagner-Gruppe und der Ausstellung des internationalen Haftbefehles für Präsident Putin war der Gipfel eine gute Gelegenheit, einen Eindruck von Normalität zu vermitteln und das russische Narrativ zu streuen.
Die gemeinsame Abschlusserklärung formulierte dann ganz im Sinne Moskaus u.a.:
Das ist natürlich paradox, denn genau das Gegenteil von dem, was in dieser Abschlusserklärung behauptet wird, ist wahr. Gerade im Zusammenhang mit der Aufkündigung des Getreideabkommens wird dies klar: Während Russland die Häfen in der Ukraine bombardiert, absichtlich für eine Verknappung von Getreide und den Zusammenbruch der Lieferketten sorgt, unter dem vor allem auch die afrikanische Bevölkerung leidet, versucht Moskau ein Narrativ zu schaffen, das dem Westen und der Ukraine daran die Schuld gibt.
Doch selbst die ausgefeilte Russland-Propaganda bekommt hier zunehmend Löcher. Kenias Außenminister, sonst eher zurückhaltend mit Kritik gegenüber Russland, spricht nach der Aufkündigung des Abkommens von einem „Stich in den Rücken“. Die von Russland versprochene Spende von 25 bis 50 tausend Tonnen Getreide an eine Handvoll afrikanischer Autokraten sieht nach einem billigen politischen Trick aus, wenn man sich vor Augen führt, dass Russland das UN-Welternährungsprogramm nicht unterstützt. Der südafrikanische Präsident, Cyril Ramaphosa, erinnerte Putin dann zumindest auch daran, dass die afrikanischen Staaten nicht nach Russland gereist seien, um Spenden zu erhalten, sondern, um über eine Verlängerung des Schwarzmeer-Getreideabkommens zu sprechen. Selbst Ägypten, ein Empfänger russischer Waffen, kritisierte das Vorgehen.
Der Gipfel in St. Petersburg zeigt, wie ambivalent die Beziehungen der einzelnen afrikanischen Staaten zu Russland bleiben. Auch wenn Cyril Ramaphosa im Gespräch mit Putin auf die Einhaltung der UN-Menschenrechtscharta drängt und laut Gesprächsprotokollen dem Unmut über die Aufkündigung des Getreideabkommens Ausdruck verliehen wurde, kann von einer Ächtung Russlands keine Rede sein. Das hat sich auch am Abstimmungsverhalten der afrikanischen Staaten bei den UN-Resolutionen zur Invasion Russlands in der Ukraine gezeigt. Bei der ersten Resolution enthielten sich 17 afrikanische Staaten. Neun stimmten gar nicht ab. Afrika bleibt der Kontinent, der den Völkerrechtsbruch am wenigsten verurteilt.
Ob Russland seine anvisierten geopolitischen Ziele beim Gipfel erreichen konnte, kann auch wegen der geringen Teilnehmerzahl bezweifelt werden. Im Vergleich zu dem Afrika-Russland Gipfel 2019, als noch Delegationen aus allen afrikanischen Ländern und 43 der 54 afrikanischen Staatschefs nach Sotchi reisten, sind diesmal nur 17 Staatenlenker und 49 Delegationen der Einladung Moskaus gefolgt. Wichtige afrikanische Staatschefs, wie Kenias Präsident William Ruto, Nigerias Präsident Bola Tinubu, der Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Félix Tshisekedi und selbst Angolas Präsident João Lourenço, dessen Land historisch gute Beziehungen zu Russland pflegt, blieben dem Gipfel fern.
Dies gilt in diplomatischen Kreisen als Indikator dafür, dass Russlands Politik in Afrika kritisch beurteilt wird, vermutlich auch des internationalen Drucks wegen. Trotzdem: Vielen afrikanischen Staaten fällt es schwer, sich auf die Seite des Westens zu stellen. Mit Neutralitätsbekundungen wollen sie die Beziehungen zum Westen, sowie zu China und Russland ausbalancieren. Gerne betonen afrikanische Entscheidungsträger, dass sie ihre Partner nach eigenen Interessen und Präferenzen aussuchen wollen. Dies liegt auch daran, dass es im wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Eigeninteresse Afrikas liegt auch zukünftig weiter mit China, dem Westen und dem Rest der Welt zu kooperieren.
In einigen autokratischen Ländern genießt Russland umfassenden Einfluss, etwa in der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen oder im Sudan. In anderen Ländern spielt Russland dagegen keine große Rolle. Dass Afrika jedoch für Russland geopolitisch und wirtschaftlich immer wichtiger wird, macht die Abschlusserklärung des 2. Russland-Afrika-Gipfels deutlich.
Moskau kann trotz wirtschaftlicher Schwäche seinen politischen Einfluss in einigen Ländern Afrikas ausbauen. Der Einfluss des Kremls gründet auf transaktionaler Außen- und Wirtschaftspolitik, Elitenkorruption, der Versorgung des Kontinents mit Waffen, umfassenden Desinformationskampagnen, aber auch auf den Aktivitäten der Wagner-Gruppe. Dass der simbabwische Autokrat Emmerson Mnangagwa, dem von Putin am Rande des Gipfels ein Hubschrauber geschenkt worden war, von „voller Unterstützung bei der militärischen Operation Russlands in der Ukraine“ sprach, sollte wegen der engen Beziehungen zwischen den autokratischen Eliten Harares und Moskaus nicht überraschen. Es ist aber ein Beispiel für die von Russland perfektionierte Elitenkorruption und transaktionale Außenpolitik.
Der zeitgleich zum Gipfel stattgefundene Coup gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum im Niger, dem letzten Stabilitätsanker für die EU und die USA in der SAHEL, spielt ebenfalls Putins geopolitischen Interessen in Afrika in die Hände.
Wagner hat sich zu einem effektiven Mittel entwickelt, russischen Einfluss in Afrika auszubauen. Eine von der Hanns-Seidel-Stiftung veröffentlichte Studie zeigt, dass die Organisation weit mehr ist als nur eine reine Söldnerfirma. Sie ist ein mafiöses Konglomerat aus Firmennetzwerken, das wirtschaftliche, politische und militärische Interessen auf dem Kontinent verfolgt. Das Ziel scheint immer dasselbe: autokratische Eliten zu stützen, Zugriff auf Bodenschätze zu erlangen und anti-westliche Ressentiments zu schüren.
Von den etwa zwanzig afrikanischen Ländern, in denen Russland besonders versucht seine Einflusssphäre auszuweiten, sind die Hälfte Konfliktgebiete. Russland profitiert von Instabilität und destabilisiert im Eigeninteresse. Angesichts der zersetzenden Wirkung, die Wagners Aktivitäten auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Afrika haben, stellt die Gruppe ein erhebliches Risiko für die Stabilität auf dem Kontinent und die Interessen Europas dar. Gleichzeitig wird offensichtlich, dass Russland nicht in der Lage ist, einen Beitrag zu Sicherheit und Entwicklung auf dem Kontinent zu leisten. So hat sich die Sicherheitssituation in den Ländern, in denen Wagner zum Einsatz kommt, kontinuierlich weiter verschlechtert, während die Menschenrechtsverletzungen gegenüber der Zivilbevölkerung zugenommen haben.
Außerdem hat die Rebellion Wagners auch in Afrika einen Eindruck von Schwäche der Putin-Oligarchie vermittelt. Afrikanische Autokraten, die sich von Wagner-Söldnern bewachen lassen, stellten sich vermutlich die Frage, wie zuverlässig Wagner die vereinbarten Deals - „persönliche Sicherheit gegen Zugriff auf Bodenschätze“ - einhalten kann. Sowohl Putin als auch Prigozhin haben nach der Meuterei darauf verwiesen, dass die Aktivitäten in Afrika fortgeführt werden sollen. Das Image von Wagner ist jedoch angekratzt. Ob sich ein Vakuum ergeben wird, das die USA oder die EU füllen könnten, sollte genau beobachtet werden.
Die Schnittmengen der Interessen Afrikas und Europas für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung einer regelbasierten Weltordnung sind vorhanden. Dies sollte auch strategisch genutzt werden. Während sich zwischen Russland und afrikanischen Ländern zwar die Semantik oft gleicht und beide von einer neuen multipolaren Welt mit größerem Einfluss des globalen Südens sprechen, sind die Ziele grundverschieden. Afrika, mit vielen kleineren Ländern und einer demokratisch orientierten Bevölkerung, hat Interesse an einem reformierten, regelbasierten System – ganz im Unterschied zu Russland. So schreibt Jakkie Cilliers, Vorstand des afrikanischen Institute for Security Studies: “Africa needs a rules based system – just not this one“.
Russland mag als Partner bei einigen Autokraten und Militärjuntas durchaus attraktiv sein, jedoch ist diese Strategie zu kurz gedacht. Afrika als Ganzes erlebt die zersetzende Wirkung von Instabilität in vielen Regionen und braucht Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung. Zu beiden Themen wird Russland kein echtes Angebot machen können.
Zwar veröffentlichten die EU-Botschafter zeitgleich mit dem Gipfel eine Illustration der umfassenden EU-AU Partnerschaft. Um Durchschlagskraft zu entfalten, brauchen wir eine systematische Verzahnung von Entwicklungs- und Wirtschaftsaußenpolitik. Die Bundesregierung steht hier auch in der Verantwortung, dem deutschen Privatsektor den Gang nach Afrika so einfach wie möglich zu gestalten. Schlagwörter sind: Risikoverteilung bei Investitionen und Entbürokratisierung. Im Eigeninteresse sollten wir hier endlich handeln.