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1. Entwicklungspolitisches Forum
Weltweite Urbanisierung – Welche Zukunft hat die Stadt?

„Eine bessere Stadt, ein besseres Leben“. Unter diesem Motto steht der Weltstädtetag der Vereinten Nationen, der für den 31. Oktober festgesetzt wurde. Ziel ist es, auf die Herausforderungen und Chancen der Verstädterung hinzuweisen und kreative Lösungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu fördern. Genau dies war auch Anlass und Inhalt der Podiumsdiskussion, zu der die Hanns-Seidel-Stiftung einlud.

Tania Rödiger-Vorwerk beschreibt die rasante Urbanisierung in Asien und Afrika.

Tania Rödiger-Vorwerk beschreibt die rasante Urbanisierung in Asien und Afrika.

Das Jahr 2008 markiert in der Bevölkerungsgeschichte eine Wende, denn  seit diesem Jahr lebt erstmals mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Setzt sich dieser Trend fort, würden es im Jahr 2050 über zwei Drittel sein. Besonders rasant wachsen die kleineren und mittelgroßen Städte in den Entwicklungs- und Schwellenländern Asiens und Afrikas. „Doch gerade ihnen fehlen die finanziellen und personellen Ressourcen, um diese Dynamik zu bewältigen“, zeigte Dr. Tania Rödiger-Vorwerk die Problematik auf. Sie leitet die Unterabteilung „Nachhaltige Entwicklung, natürliche Ressourcen, Wirtschaft und Infrastruktur“ im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wie die Urbanisierung abläuft, spielt für globale Entwicklungsziele eine Rolle: „Städte sind globale Akteure und die zentrale Schaltstellen, um die Nachhaltigkeitsziele der Entwicklungsagenda ab 2015 zu erreichen“. In diesem Zusammenhang spielt auch die dritte Habitat Weltkonferenz im Jahr 2016 eine zentrale Rolle, denn sie wird für die globale Stadtentwicklungspolitik der nächsten zwanzig Jahre richtungsweisend sein. 

Deutschland setzt sich dafür ein, dass nachhaltige Stadtentwicklung explizit im Zielkatalog berücksichtigt wird. Die deutsche Entwicklungspolitik versteht darunter vier Dimensionen, wie Rödiger-Vorwerk erläuterte: 

1. Die produktive und beschäftigungsfördernde Stadt. 
Hier gilt es den Menschen zu helfen, die beispielsweise unter prekären oder gar gesundheitsgefährdenden Arbeitsverhältnissen leiden. Leitbild ist die wirtschaftliche Entfaltung von Städten. Zu den Voraussetzungen gehören Rechtssicherheit, Infrastrukturen und effiziente Verwaltungen sowie Bildung und Fortbildung.

2. Die sozialgerechte Stadt. 
Das Leitbild zielt auf die Menschen in Armutsvierteln, die in beengten, provisorischen Wohnverhältnissen mit unzureichendem Zugang zu öffentlichen Grunddienstleistungen leben. Derzeit wohnen bereits eine Milliarde Menschen in Slums. Zu den Zielen gehören die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am öffentlichen und politischen Leben, angemessene Einkommensmöglichkeiten und Sicherheit.

3. Die resiliente Stadt. 
Darunter ist die Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturgefahren und den negative Folgen des Klimawandels zu verstehen.
 
4. Die umweltschonende und ressourceneffiziente Stadt. 
Dieses Leitbild widmet sich dem zunehmenden Druck auf Land und Ressourcen und sucht Lösungen, wie Städte ihr Potenzial für Ressourceneffizienz und Klimaschutz nutzen können.

Deutschland, so Rödiger-Vorwerk, unterstützt dabei nicht nur städtische Infrastrukturen. Eine große Rolle spielen integrierte, sektorübergreifende Ansätze, die Querbezüge berücksichtigen und auch die Verzahnung von städtischer und ländlicher Entwicklung. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat auch ein Augenmerk auf die Prinzipien von Guter Regierungsführung (good governance) und fördert den Aufbau dezentraler Verwaltungsstrukturen sowie den Dialog mit Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen. 

Die Gäste diskutieren, wie Städte nachhaltig und sozial entwickelt werden können.

Die Gäste diskutieren, wie Städte nachhaltig und sozial entwickelt werden können.

Entwicklung im Dialog

An diesem Punkt setzten Eva-Maria Heerde-Hinojosa (Misereor Bayern)  und Prof. Dr. Sigrun Kabisch (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) an. Sie plädierten dafür, Entwicklungsvorstellungen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu planen, sondern neue Wege der Beteiligung zu gehen und mit den Menschen auf Augenhöhe zu diskutieren. Kabisch: „Wir müssen hineinhören, welche Vorschläge und Initiativen bereits vor Ort vorhanden sind und dort ansetzen. Es ist ein wechselseitiges Lernen. Städte sind von Heterogenität und Pluralität gekennzeichnet. Da wäre es fatal, an sektoralem Denken verhaftet zu bleiben. So müssen technische und soziale Innovationen Hand in Hand gehen“. An vielen Errungenschaften, die den Fortschritt in Städten markieren, können gerade die Armen nicht teilhaben oder sie sind dadurch sogar negativ betroffen. Heerde-Hinojosa erläuterte dies am Beispiel der Rikschafahrer, die mit den Verbesserungen im Verkehrs- und Transportwesen plötzlich ihrer Einkommensmöglichkeiten beraubt waren. Auch wenn die in Armutsvierteln lebenden Menschen oft im informellen Sektor tätig sind, erfüllen sie wichtige Funktionen in der Stadt, die aber in der Planungseuphorie oft vergessen würden. Hier müsse man behutsam vorgehen.

Dem stimmte auch Steffen Braun zu, der an der „Transformation von Städten und Stadtsystemen“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation forscht. „Ziel ist eine nachhaltige, wandlungsfähige Stadt. Es ist spannend, eine Stadtentwicklung nicht einfach fortzuschreiben, sondern sich kreativ an mögliche Zukünfte zu wagen. Vielleicht müssen wir dazu viel mehr kleine dezentrale Lösungen zulassen, statt von dem einen allumfassenden Masterplan auszugehen. Was also müssen wir den Menschen vor Ort an die Hand geben, damit  sie sich selbst organisieren können?“. Eine weitere aufschlussreiche Frage ist für ihn auch der Rückblick auf Entwicklungspfade. Auf welchem Stand etwa war München vor 100 Jahren? Welche Grundannahmen für die Entwicklung  galten damals?

Sehr nah dran an realen, aktuellen Entwicklungsvorstellungen sind Rudolf und Jörg Spitthöver, Vater und Sohn, beides Vermessungsingenieure, die im Südsudan damit beauftragt wurden, eine Provinzhauptstadt völlig neu zu planen. „Diese Stadt besteht im Wesentlichen aus Schilfrundhütten und nur wenigen Steinhäusern. Es gibt weder eine geregelte Energie- noch Wasserversorgung und auch kein Baumaterial. Die Menschen leben vor allem in Subsistenzwirtschaft, Arbeitsplätze gibt es lediglich in der Verwaltung. Die Idee der lokalen Stammeshäuptlinge ist, alles neu zu schaffen und alles Alte abzureißen“. Die Ingenieure versuchen nun behutsam davon zu überzeugen, nicht ganz so radikal vorzugehen und das Bestehende weiter zu entwickeln. Sie wollen auch dazu beitragen, dass Arbeitsplätze entstehen, etwa durch lokale Baustoffproduktion. Der erste Schritt ist die Einbeziehung aller Akteure und Betroffenen – Ministerien, Stammesvertreter, Landwirte, Bewohner – um gegenseitiges Verständnis aufzubauen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Das Logo der neuen Veranstaltungsreihe der Hanns-Seidel-Stiftung "Entwicklungspolitisches Forum"

Das Logo der neuen Veranstaltungsreihe der Hanns-Seidel-Stiftung "Entwicklungspolitisches Forum"

In den Meldungen aus dem Publikum wurden weitere Aspekte aufgeworfen, die Moderator Prof. Dr. Markus Vogt (Ludwig-Maximilian-Universität München) an das Podium weiter gab. Dazu gehörte etwa die Bedeutung von Ressourceneffizienz im Spannungsfeld von wirtschaftlicher und nachhaltiger Entwicklung, der Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Bildung und die gestiegene Notwendigkeit von sozialer Inklusion angesichts der Tendenzen zu so genannten Gated Communities, zu Separierung und Marginalisierung. 

Im Anschluss an die Veranstaltung gab es Gelegenheit zur weiteren Diskussion bei einem kleinen Stehempfang und zur Lektüre der Publikation „Stadt – Land – Fluss“, auf die Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser (Hanns-Seidel-Stiftung) bei seiner Begrüßung hingewiesen hatte. Die Podiumsdiskussion war Teil einer Reihe, das sich nunmehr als „Entwicklungspolitisches Forum“ etabliert hat und regelmäßig zu aktuellen Themen einlädt.

Süd-/Südostasien
Stefan Burkhardt
Leiter
Umwelt und Energie, Städte, Ländlicher Raum
Silke Franke
Leiterin