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Gipfeltreffen des Europäischen Rates
Trotz Corona nicht verschwunden: Brexit, Klimawandel, Konflikt im Mittelmeer

Der Europäische Rat hat sich in Brüssel getroffen. Top-Themen waren, Brexit, Corona-Pandemie und Klimawandel. Außerdem ging es um den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei im östlichen Mittelmeer. Nicht dabei waren Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Regierungschefs von Finnland und Polen, natürlich wegen Corona.

  • Der Gipfel stand buchstäblich im Zeichen des Corona-Virus, mit mehreren vorzeitigen Abreisen von Staats-und Regierungschefs.
  • Der erste Tag war geprägt von stockenden Brexit-Verhandlungen.
  • Den zweiten Tag dominierten die Beziehungen mit Afrika.

Am 15. und 16. Oktober 2020 ist der Europäische Rat in Brüssel zusammengekommen. Die Gespräche standen ganz im Zeichen der stockenden Brexit-Verhandlungen und der sich zuspitzenden COVID-19-Pandemie. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen musste deshalb den Gipfel vorzeitig verlassen und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki nahm erst gar nicht teil. Beide hatten Kontakt mit Corona-Positiven. Am zweiten Gipfeltag reiste auch Finnlands Regierungschefin Sanna Marin aus diesem Grund früher ab.

Ein großes, rundes Gebäude aus Glas und Stahl mit den Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten davor, die im Winde wehen.

Das EU-Parlament fordert mehr Geld für Gesundheit, Digitales und Bildung. Der Europäische Rat dazu: Budget nicht mehr verhandelbar.

Adrian Hancu; ©HSS; IStock

Tag 1: Stand der COVID-19-Pandemie, Brexit-Verhandlungen und Klimaziele

Zu Beginn des Gipfels fand der traditionelle Austausch mit dem EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli statt. Der Parlamentspräsident betonte die Forderung des Parlaments über eine Aufstockung des EU-Budgets von 39 Milliarden Euro, um einzelne EU-Programme wie z. B. in den Bereichen Gesundheit, Digitales und Bildung im kommenden Mehrjährigen Finanzrahmen besser zu berücksichtigen. Die Antwort der einzelnen Staats- und Regierungschefs darauf war jedoch im Kern stets dieselbe. Die Vereinbarung des Juli-Gipfels sei nicht mehr verhandelbar. Nun liegt es laut Europäischem Rat am Parlament, dem Mehrjährigen Finanzrahmen und dem dazugehörigen Corona-Unterstützungsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro zuzustimmen, damit die Gelder pünktlich zum Jahresanfang 2021 ausgezahlt werden können.

Im Angesicht der COVID-19-Pandemie einigten sich die Staats- und Regierungschefs, die EU-weite Kooperation weiter zu intensivieren, und die deutsche Ratspräsidentschaft schlug dazu eine wöchentliche koordinierende Videokonferenz vor. Da die meisten Kompetenzen in der Gesundheitspolitik in den nationalen, wenn nicht sogar wie in manchen EU-Mitgliedstaaten auf regionaler Ebene liegen (wie z. B. in Deutschland oder Belgien), kann die EU als koordinierende Instanz nicht so viel bewegen, wie sich das manche in Brüssel wünschen.

Brexit

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer stuften den Stand der Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich als besorgniserregend ein. Denn die Zeit drängt. Weniger als 100 Tage vor dem Ende der Übergangszeit bedeutet dies, dass ein „harter Brexit“, also ein Austritt Großbritanniens ohne eine Einigung mit der EU, keineswegs ausgeschlossen ist. Hinzu kommen die Aussagen des britischen Premierministers Boris Johnsons, die er zeitgleich zum Gipfel in einer Fernsehansprache tätigte. Er sagte, dass das Vereinigte Königreich sich auf einen harten Brexit vorbereiten solle. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Ende des Gipfels noch einmal verdeutlicht, dass die EU bereit sei für Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich. Doch auch die britische Seite müsse Kompromissbereitschaft zeigen. Eine Delegation der EU wird dazu diese Woche für Verhandlungen nach London reisen.

Klimawandel

Ein weiterer Themenpunkt des Gipfels waren die Verhandlungen über eine Einigung auf ein neues Klimaziel für 2030. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 % auf der Basis von 1990 zu verringern. Das langfristige Ziel der EU-Kommission ist eine klimaneutrale EU bis 2050. Die Gipfel-Schlussfolgerungen nehmen Rücksicht auf die unterschiedlichen klimapolitischen Eigenheiten der Mitgliedstaaten. Einige favorisieren noch ambitioniertere Klimaziele. Andere Mitgliedstaaten, darunter etliche aus Osteuropa, fürchten, dass mit einer zu starken Erhöhung der Ziele ihre Volkswirtschaften überfordert werden. So heißt es auch in den Schlussfolgerungen, „die nationalen Gegebenheiten sowie Fairness- und Solidaritätsaspekte sollen berücksichtigt werden“. Die endgültigen Beschlüsse dazu vertagte der Europäische Rat auf das Treffen im Dezember.

Tag 2: Beziehungen zu Afrika und Thema Türkei

Die Beziehungen zu Afrika hätten dieses Jahr einen neuen Impuls erhalten sollen, denn ein EU-Afrika-Gipfel war für Oktober 2020 geplant. Die Pandemie hat diesem Vorhaben einen Riegel vorgeschoben. Der Europäische Rat bekräftigte in seinen Schlussfolgerungen die Rolle Afrikas (und der Afrikanischen Union) als wichtiger strategischer Partner der EU. Nicht nur Themen wie Migration und Sicherheit standen auf der Tagesordnung, sondern auch die Möglichkeiten der EU, Afrika wirtschaftlich und gesundheitspolitisch zu unterstützen. Nach der Verschiebung des Gipfels EU-Afrikanische Union aufgrund der COVID-19-Pandemie, ist ein Treffen des Europäischen Rates mit hochrangigen Vertretern der Afrikanischen Union am Rande des nächsten Europäischen Rates im Dezember vorgesehen. Allerdings ist so ein Treffen mehr als fraglich. Denn ein für November geplanter informeller EU-Gipfel mit der chinesischen Führung in Berlin wurde bereits abgesagt. Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel ist diese Absage in der gegenwärtigen Situation eine „notwendige Botschaft“ in einer Phase steigender Infektionszahlen.

Türkei

Daneben erhielt ein weiterer Punkt große Medienaufmerksamkeit, obwohl er offiziell nicht auf der Tagesordnung stand. So betonten Zypern und Griechenland im Vorfeld des Gipfels die Notwendigkeit, über das aktuelle Vorgehen der Türkei zu diskutieren. Die Türkei hatte nach ersten Schritten der Deeskalation im östlichen Mittelmeer vergangene Woche ihr Forschungsschiff "Oruc Reis" erneut in umstrittene Gewässer entsendet. Der Europäische Rat hat die Schlussfolgerungen von vor zwei Wochen noch einmal bekräftigt, jedoch keine weiteren Beschlüsse gefasst. Das Thema Türkei steht ebenfalls im Dezember beim nächsten planmäßigen Europäischen Rat auf der Tagesordnung.

Ausblick

Die Staats- und Regierungschefs der EU würden die Notwendigkeit persönlicher Treffen in den kommenden Wochen angesichts der zweiten Welle der Corona-Pandemie neu bewerten, sagte im Anschluss des Gipfels Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates. Es bleibt abzuwarten, ob der für 10. und 11. Dezember 2020 geplante EU-Gipfel überhaupt physisch in Brüssel stattfinden wird. Falls es zu einem Videogipfel kommt, bedeutet dies eine Rückkehr zur Video-Diplomatie und den damit verbundenen bekannten Einschränkungen.

Autor: Matthias Stöger, HSS, Europa-Büro, Brüssel

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter