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Sparfähigkeit und Vermögen der Mittelschicht in Deutschland
Neue Studie: Gerechtigkeit für die Mitte?

Autor: Dr. Susanne Schmid

Die Hanns-Seidel-Stiftung stellt in einer neuen Studie die Frage: Wie steht es um die deutsche Mittelschicht? „Die Krise ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt HSS-Vorsitzender Markus Ferber, MdEP. Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland sei in der Krise nicht mehr ohne Weiteres in der Lage Rücklagen aufzubauen.

Im Auftrag der Hanns-Seidel-Stiftung hat sich das ifo Institut mit der finanziellen Situation der Mittelschicht in Deutschland und im EU-Vergleich beschäftigt. In einer dreiteiligen Studie wurde zunächst die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland untersucht, es folgte die Lage der Mittelschicht bei Einkommen und Vermögen im EU-Vergleich. Im letzten Schritt wurde die Verteilung der Nettovermögen und die Sparfähigkeit in Deutschland analysiert.

„Gerechtigkeit für die Mitte? – Die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland und im EU-Vergleich“

Hier finden Sie die Studie im PDF-Format: www.hss.de/publikationen/gerechtigkeit-fuer-die-mitte-pub2446/

An einem langen Tisch sitzen Herr Ferber und Prof. Robers vor einer Präsentation und stellen gut glaunt die Studie vor.

"Die hohe Inflation hat die Mittelschicht überproportional getroffen und zeigt die Belastungsgrenze der Mitte", sagt HSS-Vorsitzender Markus Ferber, MdEP (Mitte). Rechts daneben Prof. Dr. Diane Robers, Leiterin der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der HSS.

©HSS

Ziel der Studie war es, ein Lagebild der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland zu erstellen. Dabei wurde die besondere Belastungssituation der Mittelschicht und ihre verbleibenden Möglichkeiten zur Eigenvorsorge herausgearbeitet. Projektleiter des ifo Instituts waren Prof. Dr. Andreas Peichl und Dr. Florian Dorn.

Die Forschungserkenntnisse zur Verteilung der Steuer- und Abgabenlast in Deutschland konnten Ende Oktober 2022 bei einem Pressegespräch vorgestellt werden, die Analysen zu Einkommen, Vermögen und Abgabenlasten der Mittelschicht im europäischen Vergleich am 7. Dezember im Rahmen einer Expertenrunde.

Die Studienergebnisse zu Sparfähigkeit und Vermögen der Mittelschicht in Deutschland konnten am 31. März 2023 anhand einer Pressemitteilung publik gemacht werden.

Der Stiftungsvorsitzende Markus Ferber, MdEP:

Die Krise ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland ist in der Krise nicht mehr in der Lage zu sparen, ohne ihre Konsumgewohnheiten stärker zurückzufahren oder auf Rücklagen zurückzugreifen. Die hohe Inflation hat die Mittelschicht überproportional getroffen und zeigt die Belastungsgrenze der Mitte.“

Dr. Florian Dorn, Studienleiter beim Münchner ifo Institut, ergänzte:

Die Entwicklung der Einkommen konnte in den vergangenen Jahren vielerorts mit steigenden Mieten und explodierenden Immobilienpreisen nicht mehr mithalten. Gerade bei jungen Menschen können Anreize zu mehr Arbeit verloren gehen, wenn Vermögensaufbau und der Erwerb eines Eigenheims durch eigene Leistung immer schwieriger werden.“

Die Studienergebnisse im Detail

Wie vermögend ist die Mittelschicht in Deutschland?

  • Beim klassischen Nettovermögensaufbau liegt die Mittelschicht deutlich zurück: Im Jahr 2017 lagen auf Basis des SOEP die durchschnittlichen äquivalenzgewichteten Nettovermögen der Haushalte, bestehend aus Real- und Finanzvermögen (ohne Altersvorsorgevermögen) und abzgl. von Schulden, bei 134.000 Euro. Beim Vermögensaufbau fällt die Mittelschicht relativ zu den einkommensstärksten Haushalten deutlich zurück. Die Haushalte mit hohem Einkommen haben im Durchschnitt ein Nettovermögen von rund 476.000 Euro. Im Gegensatz dazu hat die Mittelschicht im Durchschnitt ein Nettovermögen von 92.000 Euro in der unteren Mitte, 120.000 Euro in der mittleren Mitte und rund 184.000 Euro in der oberen Mitte. Selbst die obere Mittelschicht besitzt im Durchschnitt damit deutlich weniger als die Hälfte (39%) und die untere Mitte ein Viertel des durchschnittlichen Nettovermögens der hohen Einkommen

Welche Rolle spielen Immobilienbesitz und Altersversorgungsansprüche bei der Vermögensbildung?

  • Immobilienvermögen sind bedeutendster Vermögenswert für Haushalte in Deutschland: Die Bildung von Immobilienvermögen spielt eine herausragende Rolle in der Vermögensbildung von Haushalten in Deutschland. Diese sind im Durchschnitt bei allen Einkommensschichten der bedeutendste Vermögenswert. Dies gilt besonders für die Mittelschicht. Umso bedenklicher ist die geringe Eigenheimquote Deutschlands im europäischen Vergleich. Die klassischen Nettovermögen setzen sich in der mittleren und oberen Mitte zu knapp 70% aus Immobilienvermögen zusammen, bei der unteren Mitte sind es sogar knapp 77%. Dennoch ist die Höhe der durchschnittlichen Immobilienvermögen der Mittelschicht deutlich geringer als in der Schicht der hohen Einkommen. Bei allen Einkommensgruppen folgt nach den Immobilienvermögen erst mit großem Abstand das Finanzvermögen und dann weitere Vermögenswerte wie die betrieblichen Nettovermögen in der Bedeutung ihres Vermögensportfolios. Die deutsche Mittelschicht hat ein eher geringes Finanz- und Betriebsvermögen.
  • Altersvorsorge macht einen Unterschied: Wird der erwartete kapitalisierte Wert der Ansprüche aus der Altersversorgung als erweitertes Nettovermögen addiert, nehmen die Nettovermögen der Haushalte in Deutschland deutlich zu. Im Durchschnitt besteht die Hälfte des Nettovermögens deutscher Privathaushalte aus staatlichen Altersvorsorgeansprüchen wie Rentenanwartschaften der Deutschen Rentenversicherung und Pensionsansprüchen aus der Beamtenversorgung. Unter Berücksichtigung der theoretischen Höhe dieser erworbenen Rentenanwartschaften würde die Vermögensungleichheit geringer ausfallen. Durch die erworbenen Rentenanwartschaften nehmen die Vermögenswerte relativ zu ihrem Nettovermögen bei geringerem Haushaltseinkommen stärker zu.
  • Staatliche Altersversorgung besonders bedeutend für untere und mittlere Einkommen: Vermögenswerte der unteren und mittleren Einkommensschichten bestehen mehrheitlich aus staatlichen Altersvorsorgeansprüchen, insbesondere von den erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaften. Es handelt sich dabei jedoch um zukünftige Rentenansprüche, deren Entwicklung aufgrund des demografischen Wandels und steigendem Kostendruck der sozialen Sicherungssysteme mit Unsicherheit verbunden sind. Die Beamtenversorgung ist für die obere Mittelschicht im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen bedeutender. Für hohe Einkommen spielt die staatliche Altersversorgung eine untergeordnete Rolle bei den Nettovermögen. Selbständige (ohne Pflichtversicherung) und Angestellte mit hohen Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenze müssen und können mehr zur privaten Eigenvorsorge und Vermögensaufbau aufbringen.

Wie ist es um die Sparfähigkeit und den Vermögensaufbau der Mittelschicht bestellt?

  • Hohe Inflation verschärft die Lage der Mittelschicht: In der Krise wurden die Haushalte im Durchschnitt real ärmer. Die Krise ist dabei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland ist in der Krise nicht mehr in der Lage zu sparen, ohne ihre Konsumgewohnheiten stärker zurückzufahren oder auf Rücklagen zurückzugreifen. Die hohe Inflation hat die Mittelschicht überproportional getroffen und zeigt die Belastungsgrenze der (unteren und mittleren) Mitte der Einkommensgruppen auf.
  • Vermögensstruktur wenig nachhaltig aufgestellt, Haushalte der unteren und mittleren Mittelschicht stecken in einer Art Vermögensfalle: Die Nettovermögen der Mitte sind stark von Anwartschaften der staatlichen Altersversorgung abhängig. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Zusammensetzung der Nettovermögen unterer und mittlerer Einkommensgruppen wenig nachhaltig aufgestellt. Staatliche Altersvorsorgeansprüche könnten vielen im Alter nicht mehr zum Erhalt des Lebensstandards reichen, sie sind daher besonders auf Möglichkeiten zur zusätzlichen privaten Eigenvorsorge und zum Vermögensaufbau angewiesen. Im Gegenteil spielen aber private und betriebliche Altersvorsorge bei unteren und mittleren Einkommen (bisher) eine untergeordnete Rolle. Insbesondere die Haushalte der Mitte, die noch nicht hinreichend Vermögen haben, stecken in einer Art Vermögensfalle. Aufgrund der geringen Rendite im Rentensystem müssten diese Eigenvorsorge und Vermögensaufbau betreiben, allerdings haben sie wenig Spielraum hierfür. Hinzu kommt, dass das Sparverhalten von Haushalten unterer und mittlerer Einkommensgruppen gerade in Zeiten niedriger Zinsen real negative Renditen einbrachte.

Fazit und Ausblick: Wo steht Deutschlands Mittelschicht bei Sparfähigkeit und Vermögensbildung?

Die Krise ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aufgrund der hohen Inflation und bei sinkenden Reallöhnen mussten auch Haushalte in der Mittelschicht im Jahr 2022 ihren Konsum einschränken oder auf Rücklagen zurückgreifen. Aufgrund verhaltener Konjunkturaussichten und weiterhin hohen Preissteigerungsraten bleibt die Lage für viele private Haushalte auch 2023 vorerst angespannt. Auch schon vor der Krise waren viele Haushalte in der Mittelschicht in ihren Sparmöglichkeiten eingeschränkt, um private Eigenvorsorge zu betreiben und eigenes Vermögen aufzubauen. Eine Stärkung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge wäre für viele Haushalte aufgrund des demografischen Wandels jedoch zwingend notwendig, um die sinkende Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen. Hinzu kommt eine Einkommensentwicklung, die in den Jahren vor der Krise real zwar mehr Konsum ermöglichte, die aber vielerorts in den vergangenen Jahren mit steigenden Mieten und explodierenden Immobilienpreisen nicht mehr mithalten konnte. Gerade bei jungen Haushalten können damit Anreize zu mehr Arbeit verloren gehen, wenn Aufstiegschancen und die Vermögensbildung durch den Erwerb eines Eigenheims durch eigene Leistung immer schwieriger werden.

Um die Vermögensentwicklung in der Mittelschicht nachhaltiger aufzustellen, müsste an mehreren Stellschrauben gedreht werden. Es bedarf dabei einer Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, um die Rente nachhaltiger aufzustellen und damit die Belastung der Mitte nicht weiter durch höhere Beiträge steigt. Stattdessen sollten die Sparfähigkeiten und die privaten Möglichkeiten zur Vermögensbildung gestärkt werden. Zielgerichtete Anreize und Möglichkeiten zum Vermögensaufbau müssen bestehen, damit sich der Aufbau von Realvermögen, wie der Erwerb eines Eigenheims, auch in der Mitte der Gesellschaft weiter durch eigene Arbeit und Leistung erreichen lässt. Schließlich sollten sich auch Haushalte mit mittlerem Einkommen in ihrem Anlageverhalten besser diversifizieren, damit sie auch an positiven Renditen am Kapitalmarkt mehr partizipieren.

Mit Blick auf die Gesamtstudie resümierte Markus Ferber: „Die Mittelschicht in Deutschland steht zunehmend unter Druck. Die Verteilung der Steuer- und Abgabenlast, die hohen Abgaben für die Mittelschicht und die geringen Leistungsanreize bei niedrigen und mittleren Einkommen im Steuer- und Transfersystem werfen daher die berechtigte Frage auf, ob die Lasten in Deutschland noch gerecht verteilt sind.“  

Die Mittelschicht ist ein wesentlicher Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Sie erbringt den Großteil des Steueraufkommens und trägt somit wesentlich zur Handlungsfähigkeit des Staates bei. Die Mittelschicht mag in Deutschland einkommensmäßig stabil sein, mit Blick auf die Teilhabe an der Entwicklung der Vermögen ist sie es nicht. Trotz einer hohen Sparquote fällt die deutsche Mitte bei der Vermögensbildung immer weiter zurück. Im EU-Vergleich hat Deutschland eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten und gleichzeitig eine der niedrigsten Eigentumsquoten – ist dies gerecht?

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Leiterin: Dr. Susanne Schmid
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