Der alte Antisemitismus hat ein neues Sprachrohr gefunden: Das Internet. Nicht nur in einschlägigen Filterblasen gedeiht der Hass auf Juden, er dringt in die Breite, vergiftet die digitale Kommunikation und kleidet sich immer häufiger in das Gewand politischer Kritik, wie eine Studie der TU-Berlin nahelegt.
Antisemitismus im Internet hat im digitalen Zeitalter stark zugenommen und erlebt gegenwärtig eine traurige Blüte. Das belegt eine Langzeitstudie der TU Berlin. Sie hat untersucht, wie antisemitische Inhalte über das Netz verbreitet werden, welche Typen von Antisemitismus dabei dominant sind und inwieweit alte judeophobe Stereotype im 21. Jahrhundert modern artikuliert auftreten. Auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung, der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus und der evangelischen Stadtakademie war Monika Schwarz-Friesel, Kognitionswissenschaftlerin und Leiterin der Studie, im Juli nach Nürnberg gekommen, um im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ die zentralen Ergebnisse zu präsentieren.
Dabei kommt es offenbar nicht darauf an, ob antisemitische Ausfälle von rechten, linken, muslimischen oder Usern der Mitte kommen. Alle rekurrieren gemeinsam auf klassische Stereotype der Judenfeindschaft und verwenden homogen judeophobe Argumente, die insgesamt von einer emotionalen Affektlogik bestimmt werden. In der Studie wurden zahlreiche Strategien der Abwehr, Leugnung, Umdeutung und Marginalisierung von Antisemitismus offengelegt. Antisemitismus, besonders die israelbezogene Spielart, würde dabei häufig als „Kritik, Kunst- oder Meinungsfreiheit“ re-klassifiziert, um in Einklang mit der offiziellen Bewertung im Post-Holocaust-Bewusstsein politisch korrekt und sozial angemessen zu erscheinen. Man spreche dann zum Beispiel nicht von „Juden oder Judentum“, sondern von „Israelis oder Zionismus“.
Wo liegt die Grenze?
Gerade die Abgrenzung zwischen Antisemitismus und Israelkritik lag der international renommierten Antisemitismusforscherin besonders am Herzen. Hier dürfe es keine Grauzonen geben. Selbstverständlich dürfe man sachlich begründete Kritik an der israelischen Regierung üben. Wenn aber Israel als Projektionsfläche für antisemitische Ressentiments diene und tradierte anti-jüdische Stereotype und Argumente benutzt würden, um den Staat Israel generell zu diskreditieren, wenn seine jüdischen Bürger kollektiv dämonisiert und seine Existenzberechtigung als jüdischer Staat in Frage gestellt werde, wenn ein irreales Feindbild von Israel konstruiert würde, dann liege keine Israel-Kritik, sondern verbaler Antisemitismus in der Formvariante des Anti-Israelismus vor.
Ein Appell des Abends in Nürnberg sollte nicht verhallen: Nicht weiter so! Die bisherigen Bemühungen haben den Judenhass nicht eingedämmt, und mit dem Internet ist nun zusätzlich mitten in der Gesellschaft ein Kommunikationsinstrument für die Verbreitung antisemitischen Gedankenguts vorhanden, die das Potenzial hat, den Hass intensiver und unkontrollierter denn je in die Zukunft zu tragen.
Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, was im Holocaust geschehen ist. Auch in der Gegenwart stehen Aufarbeitungsprozesse an, die eingeschliffene Muster betreffen. Dazu gehört aktuell: Ein Ende der Floskelkultur. Die zur bloßen Routine erstarrten Gedenk- und Mahnreden, die turnusmäßig seit Jahren mit fast exakt dem gleichen Wortlaut geschwungen werden, müssen aufgebrochen werden, um Bewegung und Handlung auszulösen. Die Debatte um alle Formen von Judenfeindschaft muss offener und rationaler geführt werden, ohne überzogene politische Korrektheit, ohne falsche Rücksichtnahme oder aus Sorge um soziale Reaktionen. Wer wirklich etwas gegen Judenhass unternehmen möchte, der muss sich auch mit seinesgleichen anlegen, der darf Kritik nicht scheuen, der darf die Augen nicht verschließen. Bislang war die Antisemitismusbekämpfung häufig geprägt von Bequemlichkeit und Ignoranz. Beides ist tödlich – für Juden und für die Zukunft unserer Demokratie.
Mit der Schaffung eines „Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe“ ist der Freistaat Bayern 2018 einen beispielgebenden Schritt in die richtige Richtung gegangen. Der Beauftragte ist ressortübergreifend tätig und arbeitet mit allen Staatsministerien und der Staatskanzlei zusammen. Er regt Maßnahmen an und unterstützt bei Aufgaben, um das jüdische Leben in Bayern zu fördern und zu würdigen, um jede Form des Antisemitismus zu bekämpfen und präventiv entgegenzuwirken sowie die Erinnerungsarbeit und die Pflege des historischen Erbes zu stärken.
Die vom Bayerischen Sozialministerium geschaffene „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern“ (RIAS Bayern) im März dieses Jahres, die Fälle von Belästigung bis zu strafrechtlichen Handlungen registriert und analysiert, ist ein weiterer wichtiger Baustein für die Prävention von Antisemitismus in Bayern und ein deutliches Signal, dass auch von politischer Seite neue Wege gegen einen „Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses“ gegangen werden.