Prof. Meier-Walser: Die wirklich wichtigen Gespräche finden nicht notwendigerweise im Plenum statt, sondern am Rande der Konferenz in vertraulichen Runden. Vor den Kameras der internationalen Medien werden markige Worte zum Teil bewusst mit Blick auf die politische Wirkung in den Heimatländern gewählt. Aber Ihr Eindruck täuscht nicht: Wenn man die frostige Atmosphäre zwischen verschiedenen internationalen Gästen und die gegenseitigen Schuldzuweisungen für die Eskalation etwa regionaler Krisen in Rechnung stellt, dann fühlten sich manche der älteren Teilnehmer mitunter sogar an Zeiten des Kalten Krieges erinnert.
Prof. Meier-Walser: Zum Mantra sicherheitspolitischer Analysen der weltpolitischen Großwetterlage entwickelte sich in den vergangenen Jahren das Bild einer Welt, die "aus den Fugen geraten" sei. Statt einer "Weltordnung" mit stabiler Machtverteilung zwischen rationalen Akteuren und somit berechenbaren Prozessen sei durch krisenhafte Zuspitzungen in fast allen internationalen Regionen ein Zustand internationaler "Unordnung" entstanden. In dieser delikaten Situation vielfältiger Konflikte, die sich auch in der diesjährigen Sicherheitskonferenz in konfrontativen Auseinandersetzungen zwischen mehreren Delegationen ausdrückte, ist die Veranstaltung nicht nur nach wie vor sinnvoll, sondern sozusagen notwendiger denn je.
Prof. Meier-Walser: Der wortgewaltige Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, General Herbert Raymond McMaster, ist durchaus ein Schwergewicht der Administration, aber in der Tat war aufgrund der außergewöhnlich hohen Präsenz US-amerikanischer Sicherheitskräfte in München bereits im Vorfeld der Konferenz erwartet worden, dass noch andere Kabinettsmitglieder aus Washington auftreten würden. Ob damit ein Signal in Richtung weltpolitischer Kurskorrektur des 45.Präsidenten gesendet werden sollte, halte ich für wenig unwahrscheinlich. Das würde er vermutlich eher per Twitter kommunizieren. Aber für Überraschungen hat Donald Trump bekanntlich schon mehrfach gesorgt. Bei der MSC vor einem Jahr, die wenige Tage nach dem Amtswechsel im Weißen Haus stattfand, war von vielen Experten erwartet worden, dass Obamas Nachfolger das Atomabkommen mit dem Iran kassieren, militärisch gegen Nordkorea vorgehen und eine enge "Männerfreundschaft" mit Russlands Präsident Wladimir Putin entwickeln würde. Tatsächlich hat sich Trumps Kurs - bislang zumindest - anders entwickelt und auch von seiner Wahlkampfparole, die NATO sei "obsolet", rückte er nach seinem Einzug ins Weiße Haus wieder ab.
Prof. Meier-Walser: Zur Erklärung der aktuellen Zuspitzung der Krise zwischen Israel und dem Iran muss man bis zum Abschluss des Atomabkommens mit Teheran im Juli 2015 zurückgehen. Dieser diplomatischen Vereinbarung zwischen der Gruppe der "P5+1" (den ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates und Deutschland) mit Teheran gingen jahrelange Verhandlungen voraus, in denen schließlich ein Kompromiss gefunden wurde. Der Iran musste sein Atomprogramm drastisch reduzieren und darf Kernenergie nur unter strenger internationaler Kontrolle lediglich zivil nutzen. Im Gegenzug wurden Anfang 2016 die internationalen Sanktionen gegen Teheran aufgehoben. Die Befürworter des Abkommens argumentieren, die Aufhebung der Sanktionen stärke im inneren Machtkampf Teherans die moderaten Kräfte um Präsident Rohani und Außenminister Zarif gegenüber radikal-konservativen Hardlinern. Die Gegner des Abkommens, an erster Stelle Israel und Saudi-Arabien, werfen Teheran hingegen vor, es verwende seine zusätzlichen Deviseneinnahmen, über die es seit der Aufhebung der Sanktionen durch die Wiederaufnahme der Erdölproduktion verfügt, zur militärischen Unterstützung der (schiitischen) Gegner Israels und Saudi-Arabiensim Libanon, Irak, Syrien, Jemen, Afghanistan, und sogar der sunnitischen Hamas. Riad und Tel Aviv befürchten daneben ebenso wie die Trump-Administration, dass Teheran mit Unterstützung Moskaus seine Raketenabwehrsysteme systematisch ausbaut und gleichzeitig sein offensives ballistisches Raketenarsenal qualitativ und quantitativ weiterentwickelt. Die gegenseitigen Vorhaltungen des israelischen Präsidenten Netanjahu und des iranischen Außenministers Zarif verkörpern deshalb leider kein bloßes Säbelrasseln, sondern sind Ausdruck eines gefährlichen und dramatisch eskalierten Konfliktes, der, wenn er nicht (unter internationaler Vermittlung) deeskaliert werden sollte, in einen offenen militärischen Schlagabtausch münden könnte.
Prof. Meier-Walser: Die Beziehungen zwischen dem demokratischen Westen (NATO und EU) zu Russland haben sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte dramatisch verändert. War in der NATO-Russland-Grundakte im Jahre 1997 noch von "gleichberechtigter Partnerschaft" die Rede, so führte die Ukraine-Krise und Moskaus Vorgehen im Mittleren Osten zu einer neuen Konfrontation und zu einem Strategiewechsel des westlichen Bündnisses. Mit der Doppelstrategie "Abschreckung und Dialog" soll einerseits den NATO-Mitgliedern an der östlichen Flanke (den baltischen Staaten und Polen) ein glaubwürdiges Signal der Allianzsolidarität gegeben werden. Andererseits soll die Tür für Kontakte mit Russland offengehalten sowie dem Kreml die Initiativmöglichkeit zur Re-Konsolidierung der Beziehungen zum demokratischen Westen gegeben werden. Obwohl es gegenwärtig dafür noch keine belastbaren Indizien gibt, ist eine atmosphärische Wiederannäherung nicht ausgeschlossen. Schließlich wurde auch das bereits erwähnte Atomabkommen mit dem Iran ungeachtet des schweren Zerwürfnisses zwischen Russland und den Westmächten im UN-Sicherheitsrat nach Ausbruch der Ukraine-Krise gemeinschaftlich und kooperativ ausgehandelt.
Prof. Meier-Walser: Ganz pauschal: Dass die Konferenz 2019 in einer weniger konfrontativen Weltsituation stattfinden kann und es deutliche Anzeichen dafür gibt, dass die Staatengemeinschaft den mannigfaltigen Konflikten, Krisen und Kriegen der gegenwärtigen "Weltunordnung" mit angemessenen Mitteln und dem erkennbaren Willen zu kooperativer Ordnungsgestaltung begegnet.