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Experteninterview - Corona-Schutzimpfung
Bekommen wir bald den Alltag zurück?

In historisch einmaliger Geschwindigkeit hat die Menschheit im vergangenen Jahr Impfstoffe gegen Sars-CoV2 entwickelt. Das Tempo war so unglaublich, dass Misstrauen gegen die Schutzimpfung wachsen konnte. Wir haben den Virologen Prof. Dr. Fleckenstein gefragt, ob es begründete Vorbehalte gibt und ob das Leben durch die Impfungen wieder so werden kann, wie es vor der Pandemie war.

Alle sind sich einig: Die Corona-Schutzimpfung ebnet den Weg aus der Pandemie – die Vakzine gegen COVID-19 wurden in nie dagewesener Geschwindigkeit gefunden, erprobt und nun produziert. Das stimmt zuversichtlich, wirft aber auch neue Fragen auf: Wie ging das so schnell? Wie wirksam und sicher sind die Impfstoffe überhaupt? Gibt es Unterschiede zwischen den neuen Impfstoffen? Wer hat Priorität bei der Impfung und wird es eine Impfpflicht geben? Wird es ein Leben ganz ohne SARS-CoV2 geben? Diese und weitere wichtige Fragen beantwortet der für seine Forschungen mehrfach preisgekrönte Virologe, Professor Dr. Bernhard Fleckenstein in unserem Interview.

Eine junge Frau packt in einem Kaffee eine Tüte zum mitnehmen

Die Impfstoffe sind da, werden verteilt und mehr oder weniger effizient verimpft. Ist also das Ende des Ausnahmezustands in Sicht?

DisobeyArt; ©HSS; IStock

HSS: Herr Professor, seit sechs Jahren sind Sie nun emeritiert, haben aber nicht nur als Mitglied der Leopoldina Gesellschaft die laufenden Entwicklungen am Wissenschaftsstandort Deutschland stets mitgestaltet. Haben Sie je gedacht, dass es einmal zu einer weltweiten Pandemie kommen wird, oder dass Virologen zu gefragten Medienstars werden würden?

Prof. Dr. Fleckenstein: Mit Pandemien durch Viren, die sich unkontrolliert über die ganze Welt ausbreiten, musste man immer rechnen. So gab es in gut hundert Jahren vier spektakuläre Grippe-Pandemien, 1918 - 1920 die „Spanische Grippe“, 1957/58 die „Asiatische Grippe“, 1968 - 1970 die "Hongkong-Grippe" und 2009/10 eine „Schweine-Grippe“. Jeder dieser Virus-Ausbrüche war weltweit mit einer hohen Zahl an Todesfällen belastet. Allein die Spanische Grippe forderte weit mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg. So galt es unter Virologen immer nur als eine Frage der Zeit, wann die nächste Influenza-Pandemie unvermittelt ausbricht. Doch mit der Pandemie durch das SARS-Coronavirus-2, welche gegen Ende 2019 als schreckliches Naturereignis ausbrach, hatte niemand gerechnet. In Jahr 2003 gab es in Ostasien den Ausbruch einer gefährlichen Lungenentzündung durch das SARS-Coronavirus-1. Diese Epidemie erfasste nachweislich 8096 Menschen und verursachte 774 dokumentierte Todesfälle. Das damalige Problem ließ sich durch allgemeine Präventionsmaßnahmen rasch eingrenzen, und deshalb meinten die meisten Virologen und Epidemiologen, Ausbrüche durch Coronaviren dieser Art sollten beherrschbar bleiben.

Virologen als Medienstars brauchen wir nicht. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen bemühen sich erfolgreich darum, den Stand des Wissens der Öffentlichkeit zu vermitteln. Manchmal wünschte man sich, einzelne würden sich mit gesundheitspolitischen Empfehlungen etwas mehr zurückhalten. In politische Entscheidungsprozesse rund um das Coronavirus-Problem müssen noch viele andere Wissenschafts-Disziplinen einfließen. Eine Sonderrolle unter den Coronavirus-Forschern hat Prof. Christian Drosten, Direktor des Virologischen Instituts der Charité: Er gilt zu Recht als Pionier im Feld, da er beim Ausbruch des Jahres 2003 die Natur dieser Erreger als Coronaviren erstmals erkannte. Manchmal wäre mir lieber, nicht selbsternannte Experten würden durch die Medien befragt, sondern die legitimierte Vertreterin unter den wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die Gesellschaft für Virologie.

Professor Dr. Bernhard Fleckenstein ist seit 2012 ein mehrfach preisgekrönter emeritierter Professor für Klinische Virologie. Er lehrte u.a. an der Harvard Medical School in Boston leitete das Nationale Referenzzentrum für Retroviren und blieb trotz mehrerer Angebote an „seinem“ Institut an der Universität Erlangen/Nürnberg. Er erhielt in seiner Forschungslaufbahn den hochdotierten Max-Planck-Forschungspreis, den bayerischen und bundesdeutschen Verdienstorden und ist Mitglied der Leopoldina Gesellschaft und der Academia Europea.

HSS: Die Inzidenzwerte sinken zwar aktuell, aber die Todesraten erschrecken noch immer Tag für Tag. Wie hängen diese beiden Zahlenwerte zusammen?

Unter den derzeitigen Präventionsmaßnahmen haben wir glücklicherweise einen gewissen Rückgang der Inzidenz, wenn auch nur moderat. Auch die Zahl der Todesfälle ist in Deutschland leicht rückläufig. Dabei gilt es zu bedenken, dass bei einem tödlichen Verlauf zwischen Erstinfektion und Lebensende im Schnitt etwa drei Wochen vergehen. Dieser Zeitablauf spiegelt sich naturgemäß in den Statistiken wider.

HSS: Die HSS hat im Herbst letzten Jahres ein Papier zum Einsatz Künstlicher Intelligenz gegen COVID-19 herausgebracht und schon bevor der Impfstoff von BioNTech gefunden war, die Schnelligkeit in der Vakzinforschung auf den Einsatz von KI-Systemen zurückgeführt. Geht der nächste Nobelpreis an einen Computer?

Nein, nicht die KI-Systeme waren Schrittmacher für die Entwicklung von mRNA-basierten Impfstoffen, sondern die herausragende Qualifikation der Arbeitsgruppen um Ugur Sahin, Özlem Türeci und Christoph Huber in Mainz sowie um Ingmar Hoerr, Hans-Georg Rammensee und Günther Jung in Tübingen. Zu Recht dürfen wir ein wenig stolz darauf sein, dass die entscheidenden Impulse zu den mRNA-Impfstoffen aus der deutschen Wissenschaftsszene kamen.

HSS: Welche Impfstoffe gibt es aktuell sonst noch auf dem Markt? Wie unterscheiden Sie sich in der Wirkweise? Welche Nebenwirkungen und Impfreaktionen wurden nach einer COVID-19-Impfung beobachtet?

Neben den RNA-Impfstoffen gibt es die sogenannten Vektor-Impfstoffe, wie beispielsweise von der Firma AstraZeneca; und es gibt eine größere Zahl von Impfstoff-Initiativen, welche auf bisher etablierter Methodik aufbauen. Eine wirklich ausgezeichnete Wirksamkeit mit einem Schutz vor Krankheit für rund 95% der Geimpften ist bisher nur für die Vakzine der Firmen BioNTech (Mainz) und Moderna (Cambridge, USA) erwiesen. Beim Vektor-Impfstoff von AstraZeneca ist noch offen, ob er bei älteren Menschen hinreichend wirksam ist. So wie es heute steht, sind die beiden derzeit verfügbaren mRNA-Impfstoffe die Speerspitze des Kampfes gegen COVID-19. Bisher wurden keine ernsthaften Nebenwirkungen beobachtet. Allerdings kommen Schmerzen und Rötung an der Injektionsstelle häufig vor, gelegentlich Allgemeinreaktionen wie Fieber und Kopfschmerzen.

HSS: Die krudesten Verschwörungserzählungen trüben den wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen. Wie funktionieren mRNA-Impfstoffe wirklich?

Die Behauptungen z.B. über Gen-Modifikationen durch mRNA-Impfstoffe entbehren jeder rationalen Grundlage und werden zu Recht als unsinnige Verschwörungstheorien abgetan. Durch die Impfung mit RNA-Impfstoffen gelangt die artifizielle mRNA in das Zytoplasma von bestimmten Immunzellen, aber nicht in deren Zellkern. Eine Beeinflussung des menschlichen Erbguts ist auch theoretisch kaum vorstellbar.

HSS: Kann ein COVID-19-Impfstoff Schutz bieten, wenn das SARS-CoV-2-Virus mutiert? Aktuell wird berichtet, dass auch nach einer COVID-19-Infektion die Antikörperspiegel teilweise schnell abfallen. Was bringt dann eine Impfung?

Nach den bisher bekannten Studien werden die bisherigen Varianten des Virus, so die neuen Varianten aus Großbritannien (B.1.1.7) und Südafrika (B.1.351), durch die mRNA-Impfstoffe abgedeckt. Ein großer Vorteile mRNA-basierten Impfstoffe ist es, dass sie rasch an weitere künftige Mutanten angepasst werden können. Noch können wir nicht wissen, wie lange der Schutz anhält. Ich halte es für wahrscheinlich, dass durch spätere Auffrisch-Impfungen ein dauerhafter Schutz aufgebaut werden kann.

HSS: Wie viel Prozent der Bevölkerung in Deutschland sollten sich impfen lassen, damit das Virus „besiegt“ ist – oder ist das ein Wunschdenken? Müssen wir mit Corona leben lernen?

Die Impfung gegen COVID-19 ist für jeden Erwachsenen dringend anzuraten, um sich selbst zu schützen. Aber wer sich impfen lässt, trägt auch zur Bekämpfung der Pandemie bei. Ziel ist es, eine „Herdenimmunität“ zu erreichen; dies würde bedeuten, dass die Infekt-Kette in Mittel-Europa abreißt und das Virus damit aus der Bevölkerung verdrängt wird. Dazu müssten sich nach meiner Ansicht, entgegen landläufig kolportierter Meinung, mehr als 90% (!) der Bevölkerung mit hochwirksamer Vakzine impfen lassen. Ob dies realistisch ist, weiß ich noch nicht. Der Wettlauf zwischen Virus und Impfung ist noch nicht entschieden!

HSS: Welche Personengruppen haben Priorität bei der Impfung und wer entscheidet, wer welchen Impfstoff bekommt? Was ist, wenn der eine Impfstoff nur einen Wirkungsgrad von 70%, der andere aber von 95% hat?

Die derzeitigen Prioritäten sind vom Nationalen Ethikrat verbindlich vorgeschlagen werden. Letztlich müssen alle geimpft werden, soweit es die Lizenzierung hergibt. Was die hochwirksamen mRNA-Impfstoffe und die vermutlich weniger wirksamen Vektorimpfstoffe betrifft, liegt meine persönliche Präferenz nach der bisherigen Datenlage ganz eindeutig bei den mRNA-basierten Vakzinen. Viele Menschen werden in den Impfzentren wahrscheinlich nicht gefragt werden. Wie wir später einmal mit lückenhaftem Impfschutz umgehen, wird sich erweisen.

HSS: Warum gibt es Impfzentren? Warum kann der Hausarzt nicht den COVID-19-Impfstoff verabreichen?

Die Logistik der Verteilung von mRNA-Impfstoffen ist relativ schwierig. Der Impfstoff von BioNTech muss bei -70°C gelagert werden. Die hausärztliche Praxis ist damit überfordert. Wahrscheinlich wird sich dieser Nachteil in einigen Monaten durch neue Technologien ausgleichen. Dann erst können wir endlich den Ideal-Zustand erreichen, wobei Hausärzte für alle Menschen bei Bedarf hochwirksame Vakzinen für die Grund-Immunisierung und für nachfolgende Auffrischung-Impfungen verabreichen können.

HSS: Herr Professor haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute!

Das Interview führten Dr. des. Maximilian Rückert, HSS, Dr. Susanne Schmid, HSS