Archivale des Monats
Kugelsicher! Warum das Archiv für Christlich-Soziale Politik schusssicheres Baumaterial aufbewahrt

Schusssichere Wandverkleidung

ACSP; HSS, ACSP, HSS Objekte : 2-1

Im Archiv für Christlich-Soziale Politk befindet sich dieses merkwürdige Objekt. Es handelt sich hierbei um ein 13 x 35 cm großes Teilstück einer kugelsicheren Wandverkleidung, die 2015 bei den Umbaumaßnahmen in der Hanns-Seidel-Stiftung im Erdgeschoss des Hauses Lazarettstrasse 35 entdeckt wurde. Aber warum waren Wände im Münchner Stiftungssitz kugelsicher? Was hat das alles mit der CSU zu tun und warum kann Baumaterial überhaupt archivwürdig sein?

Das hängt unmittelbar mit der Geschichte der Adresse Lazarettstrasse 19-35 zusammen, denn die war nicht immer als Sitz der Hanns-Seidel-Stiftung bekannt. Die Häuser 33 und 35 entstanden schon einige Jahre vor der Stiftungsgründung 1967, ins Erdgeschoss des Neubaus zog nach der Fertigstellung 1961 zunächst die Zentrale der CSU-Landesleitung, die dort bis 1979 bleiben sollte. Für die Hanns-Seidel-Stiftung mietete man nach der Gründung erst zwei Wohnungen im Haus 35 an, hier waren aber nur die Verwaltung und Buchhaltung untergebracht, während die Akademie und das Bildungswerk bis 1969 Räumlichkeiten in der Bauerstraße 19 hatten.

Eingangsbereich der ehemaligen CSU-Landesleitung in der Lazarettstraße

ACSP; HSS, ACSP, Ph S HSS : 128/1-1

Ende der 1960er Jahre begannen die Planungen für das Haus Lazarettstrasse 19, in das dann 1969 die Stiftung einziehen konnte. Der Gebäudekomplex 33/35 wurde bis zum Ende der 1970er Jahre also vorwiegend mit der Parteizentrale der CSU in Verbindung gebracht. Damals befand sich der Haupteingang des Gebäudekomplexes auch nicht in der Zufahrt zum Konferenzzentrum (das erst 2001 eröffnet werden sollte), sondern zum Vorgarten an der Lazarettstrasse, wo die Häuser 33 und 35 zusammentreffen. Der Eingang ist heute zwar stillgelegt, doch der gepflasterte Weg und die Türen sind noch gut zu erkennen.

Die Räumlichkeiten der CSU-Parteizentrale

Im Erdgeschoss des Hauses 35 waren zahlreiche Büroräume der Parteizentrale untergebracht, darunter das Büro des Parteivorsitzenden sowie ein kleiner Konferenzsaal, in dem die Parteileitung tagen konnte. Mit dem Anschlag auf das Münchner Landeskriminalamt erreichte der RAF-Terror 1972 auch Bayern, daher lag die Befürchtung nahe, dass der Sitz der Landesleitung in der Lazarettstrasse ins Visier der Terroristen gelangen könnte. Um dieser Bedrohung zu begegnen und sich vor Terroranschlägen zu schützen, wurden verschiedene bauliche Maßnahmen ergriffen. So stattete man den Eingangsbereich und den kleinen Sitzungssaal mit Panzerglas aus und verbaute darüber hinaus in der Wand des Sitzungssaals noch die schusssichere Verkleidung. Die knapp über 1 cm² großen Plastiksegmente sind hohl und mit winzigen Stahlkugeln gefüllt, das eher kleine Teilstück ist daher mit 470 Gramm entsprechend schwer. Durch die Segment-konstruktion ist die Verkleidung außerdem flexibel, vermutlich wirkt sie dadurch wie ein Netz, das große Krafteinwirkungen, etwa durch Explosionen oder Beschuss, absorbieren kann.

Glücklicherweise blieb die CSU-Zentrale von einem terroristischen Anschlag verschont, 1979 zog die Landesleitung dann in die Nymphenburger Straße 64 um. Heute hat die Hanns-Seidel-Stiftung ihren Sitz in den Gebäuden der Lazarettstrasse 19-35, die sie 1973 (Haus 19) und 1982 (Haus 33 und 35) auch erwarb. Im Jahr 2015 erfolgte der Rückbau des Sitzungssaals im Erdgeschoss Haus 35, bei den Bauarbeiten stieß man auf den damals verbauten kugelsicheren Wandschutz, der nun entfernt werden konnte. Als ein Zeugnis der Parteigeschichte in Zeiten des RAF-Terrorismus wurde er in die Objetksammlung des ACSP übernommen.