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13. August 1961: Vor 62 Jahren wurde die Mauer gebaut
Kein Weg hinaus

Autor: Andreas von Delhaes-Guenther

Mit einer Lüge wurde der Bau des "antifaschistischen Schutzwalls", wie die SED die Berliner Mauer verklärend nannte, vorbereitet. Doch die einzigen Faschisten, vor denen man Schutz gebraucht hätte, waren rot lackiert und saßen in Ost-Berlin.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, belog SED-Chef Walter Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15. Juni 1961 mit seiner markanten Fistelstimme die Weltöffentlichkeit. Ost-Berlins Bauarbeiter beschäftigten sich „hauptsächlich mit Wohnungsbau“ und ihre Arbeitskraft würde „voll dafür eingesetzt“. Jeden Monat flohen bis dahin tausende Menschen über Berlin in den freien Westen, 200.000 waren es im Jahr 1960, Tendenz steigend.

Die Berliner Mauer, eine Menschenfalle: Blick auf das Reichstagsgebäude im Juni 1989.

Die Berliner Mauer, eine Menschenfalle: Blick auf das Reichstagsgebäude im Juni 1989.

avd

In der Nacht auf den 13. August 1961 rückten DDR-Grenztruppen aus, rollten Stacheldraht aus, mauerten Fenster in grenznahen Gebäuden zu, kappten Bahnverbindungen, bauten die Mauer. Von einem Tag auf den anderen waren Familien, Freunde und Nachbarn getrennt. Die DDR schloss damit das letzte Schlupfloch für die eigene Bevölkerung, der an der restlichen innerdeutschen Grenze schon Zäune und Grenzer den Übertritt verwehrten. Der Mauerbau war zugleich das Eingeständnis, dass der Sozialismus vollständig gescheitert war: Ohne Mauer wäre die SED bald allein zu Hause gewesen. Vor den Genossen behauptete Ulbricht, der „Gegner“ bereite eine Aggression gegen die DDR vor, vor der man sich schützen müsse. Niemand fragte, warum sich Zäune, Minen und Selbstschussanlagen gen Osten richteten. Öffentlich zeigten sich die Westalliierten über den Mauerbau empört, intern waren sie erleichtert, weil sowjetische Forderungen nach ganz Berlin damit endeten. "Die Mauer ist keine sehr schöne Lösung", sagte US-Präsident John F. Kennedy zu seinen Mitarbeitern. "Aber sie ist immerhin besser als Krieg."

Flucht als letzter Ausweg

6.904 Menschen gelang noch in der Nacht zum 14. August die Flucht. Sie sprangen über Stacheldrahtverhaue oder seilten sich aus Fenstern über die noch schlecht gesicherte Grenze ab. Später stoppten mehr als 200 Beobachtungstürme, Sandstreifen, Scheinwerfer, vorgelagerte Sperrmauern, elektronische Alarmsysteme und Kettenhunde die Fluchtwilligen. Selbstschussanlagen und Minen, wie an der innerdeutschen Grenze, gab es in Berlin nicht. Das rund 155 Kilometer lange Bollwerk teilte Berlin schließlich 28 Jahre lang.

Der Mauerbau beendete zwar die Massenflucht der DDR-Bürger, aber nicht ihre Sehnsucht nach Freiheit. Selbst Jahre nach dem Mauerbau flohen noch DDR-Bürger aus dem angeblichen Arbeiter- und Bauernparadies, trotz Schießbefehls und hoher Haftstrafen – 71.000 „versuchte Republikfluchten“ wurden laut DDR-Generalstaatsanwaltschaft bis 1988 bestraft. 40.000 erfolgreiche Fluchten sollen es bis 1989 gewesen sein, 110.000 weitere Versuche. Die Menschen flohen mit selbst gebauten Ballons oder U-Booten, durch Tunnel, in geklauten Schützenpanzern, umgebauten Autos, Koffern, gepanzerten Bussen, über Seilrutschen, mit Leichtflugzeugen, tauchend, surfend oder schwimmend.

Das erste Todesopfer

Schwimmend versuchte es am 24. August 1961 auch der 24-jährige Günter Litfin über den Humboldthafen (beim heutigen Hauptbahnhof). Dass die Grenzposten gezielt auf Flüchtende schießen würden, erschien zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar. Litfin, Mitglied der „illegalen“ Ost-CDU, überwand zunächst die Außenmauer der vorgelagerten Charité-Klinik. Warnschüsse fielen, doch er rannte zum Hafenkai und sprang ins Wasser. Jetzt feuerten zwei Grenzer gezielt auf ihn, vor entsetzten Zuschauern auf beiden Seiten. Die gesamte Wasserfläche gehörte hier zu Ost-Berlin. Kurz bevor Litfin das rettende westliche Ufer erreichen konnte, traf den Wehrlosen ein Schuss in den Hinterkopf. "Ulbrichts Menschenjäger wurden zu Mördern!", hieß es am Tag danach in der West-Berliner Zeitung "B.Z.", Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) verurteilte die Tötung scharf. Dagegen wurde Litfin im "Neuen Deutschland", dem Zentralorgan der SED, als homosexueller Prostituierter verhöhnt. Er sei eine durch und durch "kriminelle Gestalt" und ein "finsteres Element" gewesen. In Wahrheit war er nur der erste an der Mauer Hingerichtete.

Bei dem Vorhaben, den Sperrzaun in der Nähe des Checkpoint Charlie zu übersteigen und in den amerikanischen Sektor zu flüchten, erlitt der Ostdeutsche Peter Fechter lebensbedrohliche Verletzungen durch Schüsse von DDR-Grenzposten.

Bei dem Vorhaben, den Sperrzaun in der Nähe des Checkpoint Charlie zu übersteigen und in den amerikanischen Sektor zu flüchten, erlitt der Ostdeutsche Peter Fechter lebensbedrohliche Verletzungen durch Schüsse von DDR-Grenzposten.

ZUMA Wire; IMAGO

Tod im Niemandsland

Es folgten noch viele weitere Opfer, am bekanntesten sicher Peter Fechter im August 1962. Fast eine Stunde ließen ihn die Schützen qualvoll an der Mauer verbluten. Aufgebrachte West-Berliner und Journalisten konnten Fechters Hilfeschreie hören. Karl-Eduard von Schnitzler höhnte im "Schwarzen Kanal" des DDR-Fernsehens: "Und wenn dann solch ein Element (…) unmittelbar an der Grenze verwundet und nicht sofort geborgen wird – dann ist das Geschrei groß. (…) Soll man von unserer Staatsgrenze wegbleiben – dann kann man sich Blut, Tränen und Geschrei sparen." Auch Fechter wurde als „Krimineller“ verunglimpft. Am 5. Februar 1989 fielen die letzten Todesschüsse an der Berliner Mauer, sie trafen den 20-jährigen Chris Gueffroy.

Auch so viele Jahre nach dem Mauerfall kann es keine abschließende Aussage zur Anzahl der Todesopfer geben, weil die DDR vieles vertuschte, als Unfälle oder natürliche Tode deklarierte, weil Akten verschwanden. Klar ist: Mindestens 140 Menschen kamen zwischen 1961 und 1989 im Zusammenhang mit der Berliner Mauer ums Leben, darunter auch 30 Menschen ohne Fluchtabsicht und acht DDR-Grenzsoldaten. Darüber hinaus verstarben mindestens 251 vor allem ältere Reisende bei Berliner Grenzkontrollen meist durch Herzinfarkte, dazu eine unbekannte Zahl aus Verzweiflung über die Teilung. Erfolglose „Republikflüchtlinge“ wurden nach der Haft mitsamt der ganzen Familie beruflich diskriminiert. Zudem hatten Tausende durch die brutalen Gefängnisse schwere gesundheitliche Probleme physischer und psychischer Art.

Die unbefriedigende Strafverfolgung

Ein Schandfleck bleibt ebenso wie die Opferentschädigung die juristische Aufarbeitung der DDR-Diktatur: Nur 46 Täter mussten in Haft, keiner länger als 10 Jahre – für 40 Jahre kommunistischer Diktatur mit rund 250.000 politischen Gefangenen sowie tausenden Todesopfern an den Grenzen, bis 1981 durch den Scharfrichter, durch Attentate oder in der Haft. In den "Mauerschützenprozessen" zwischen 1991 und 2004 wurde gegen 246 Personen Anklage erhoben, 126 rechtskräftig verurteilt. Meist verhängten die Gerichte gegen Grenzsoldaten und Kommandeure Strafen zwischen sechs und 24 Monaten auf Bewährung, so auch gegen die Mörder Litfins, Fechters und Gueffroys (bei ihm gab es immerhin einmal vier Jahre Haft). In der DDR erhielten sie „Ehrenzeichen“, eine noble Uhr und 200 Mark. Viele Opfer standen nach 1989 finanziell schlechter da als ihre Peiniger, da die hohen Rentenansprüche für DDR-Eliten in das bundesdeutsche Rentensystem überführt wurden.

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Das Ende

Als SED-Chef Walter Ulbricht, aus dessen Amtszeit die blutige Niederschlagung des Volksaufstands 1953 sowie der Mauerbau in Erinnerung bleiben, am 1. August 1973 starb, war er bereits Geschichte. 1971 entmachtete ihn sein Kronprinz Erich Honecker, der noch im Januar 1989 tönte, die Mauer werde auch in 100 Jahren stehen. Niemand gedenkt mehr öffentlich Ulbricht, Honecker und ihren Genossen, aber auch die Erinnerung an den Unrechtsstaat verblasst. Die SED benannte sich zweimal um und vernebelt bis heute bestmöglich alle Verstrickungen in Mauerbau und Unterdrückung. Als hätte es die DDR nie gegeben.

„Wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein“, das mahnt eine Gedenktafel für Günter Litfin an einem ehemaligen Wachturm in Berlin. In dem Turm hat Litfins Bruder Jürgen nördlich des Tatortes eine Gedenkstätte errichtet, die nun von der Stiftung Berliner Mauer fortgeführt wird. In Berlin erinnert eine Straße an Litfin, eine Allee an Gueffroy. Alle Initiativen, eine Straße in Berlin nach Fechter zu benennen, scheiterten bisher. Am Gedenkort „Weiße Kreuze“ in der Nähe des Reichstags stehen auch ihre Kreuze. Gegen das Vergessen.

Hinweis: Die Biografien aller 140 Todesopfer sind unter www.berliner-mauer-gedenkstaette.de sowie www.chronik-der-mauer.de abrufbar.

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Redakteur: Andreas von Delhaes-Guenther
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