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Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
Aufwind für die CDU

Autor: Dr. Gerhard Hirscher

Wie ist die Stimmung im Land wirklich? Bei den Wahlen in NRW und Schleswig-Holstein zeigt sich: einen Rückenwind aus Berlin erleben nur die CDU und die Grünen. Die Bevölkerung scheint die Oppositionsarbeit der Christdemokraten zu honorieren und straft SPD und FDP ab.

Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (8. Mai 2022) und in Nordrhein-Westfalen (15. Mai 2022) waren die wichtigsten Stimmungsbarometer seit der Bundestagswahl. Die Wahlen im Saarland (27. März 2022) gelten wegen des kleinen Wahlgebiets und starken regionalen Besonderheiten als nicht so aussagekräftig. Die Wahlen im großen norddeutschen Flächenland und die im bevölkerungsreichsten Bundesland eignen sich schon eher als Indikator für die politische Gesamtlage.

Der Landtag von NRW in Düsseldorf. Er sieht von oben aus wie ein Uhrwerk mit inneinander greifenden Zahnrädern.

Mit 35,7 Prozent aller Stimmen zog die CDU erneut in den Landtag in Düsseldorf ein: In NRW zeigt sich ein Trend, der auch in Schleswig-Holstein zu beobachten war. Die CDU hat Rückenwind - die SPD ist im Sinkflug. War das gute SPD-Ergebnis bei der Bundestagswahl nur ein Ausreißer?

tupungato; ©HSS; IStock

In Schleswig-Holstein hatten sich in den letzten Jahrzehnten sowohl SPD wie CDU bei der Regierungsbildung immer wieder abgewechselt. Auch unter diesem Gesichtspunkt war der Vorsprung, den sich Ministerpräsident Daniel Günther von der CDU kurz vor der Wahl erarbeitet hatte, durchaus nicht selbstverständlich. Er hatte offensichtlich einen Amtsbonus, weil seine Regierung und vor allem er selbst ihre Arbeit in den Augen einer großen Mehrheit gut gemacht haben. In den Umfragen bekannter Institute lag die CDU zuletzt deutlich vorn. Spannend war die Frage, wer zweitstärkste Partei werden würde, da SPD und Grüne gleichauf lagen. Daniel Günther wurde von einer beachtlichen Mehrheit von 66% als Ministerpräsident gewünscht. Regierungskoalitionen unter Führung der CDU wurden mehrheitlich bevorzugt. Auch der Faktor Persönlichkeit sprach eindeutig für den Amtsinhaber.

Bei den Kompetenzwerten lag die CDU in den wichtigen Bereichen Wirtschaft, Bildung und Verkehr vorn. Damit war eine Regierungsbildung unter Führung der CDU zu erwarten, allerdings nicht unbedingt die Fortsetzung der bisherigen Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Aufgrund der Umfragen schien eine Zweierkoalition wahrscheinlicher, obwohl in Deutschland in den letzten Jahren der Trend zu Koalitionen aus drei Parteien stärker geworden war. In Schleswig-Holstein steht zusätzlich der Südschleswigsche Wählerverband zur Verfügung, der als Partei der dänischen Minderheit von der 5%-Sperrklausel befreit ist und so gut wie sicher in den Landtag einzieht.

Deutlicher als erwartet

Das Wahlergebnis vom 8. Mai 2022 fiel noch deutlicher als erwartet. Die CDU legte 11,4 Punkte zu und kam auf 43,4% der Zweitstimmen. Der Zugewinn bei den Zweitstimmen war deutlich höher als der bei den Erststimmen (plus 3,3 Punkte), was ebenfalls für die große Popularität des Spitzenkandidaten spricht. Mit 34 von 69 Sitzen im Landtag verfehlte sie die absolute Mehrheit nur knapp. Zweitstärkste Partei wurden die Grünen mit 18,3% und einem Gewinn von 5,4 Punkten. Die SPD verlor 11,3 Punkte und kam auf 16,0% und damit auf das schlechteste Ergebnis der Partei im Land überhaupt. Die FDP kam mit deutlichen Verlusten auf 6,4% und der SSW auf 5,7%. Nicht mehr in den Landtag kam die AfD mit 4,4%. Die Wahlbeteiligung lag mit 60,4% etwas niedriger als 2017 (64,2%). In den ländlichen Regionen war der Zuwachs für die CDU überdurchschnittlich hoch. Bis auf drei Wahlkreise, die an die Grünen gingen, gewann die CDU alle Direktmandate. Für sie stehen damit mehrere Optionen für eine Koalition mit nur einem Partner offen. Allerdings hat Daniel Günther wenige Tage nach der Wahl Verhandlungen zur Fortführung der Jamaika-Koalition angekündigt.

Neben den herausragenden Sympathiewerten für Daniel Günther konnte die CDU auch ihre Kompetenzwerte ausbauen. In den wichtigsten Politikfeldern wie Wirtschaft, Verkehr und Infrastruktur sowie Corona lag die CDU auch am Wahltag klar vorn. Nur bei der Energiepolitik hatten die Grünen einen klaren Vorsprung. Bei der CDU wurde auch mit Abstand am ehesten die Kompetenz gesehen, die Themen der Zukunft bewältigen zu können. Die SPD lag (laut Forschungsgruppe Wahlen) zwar beim Thema soziale Gerechtigkeit vor der CDU, das wirkte sich aber auf das Gesamtbild nicht aus. Die CDU konnte (laut Infratest dimap) Stimmen von allen anderen Parteien gewinnen, vor allem von der SPD (61.000) und der FDP (47.000) sowie 19.000 Stimmen von Nichtwählern. SPD und FDP mussten fast in alle Richtungen Stimmen abgeben. Auch der Zugewinn der Grünen speist sich zum größten Teil aus ehemaligen Wählern der SPD (37.000). Sie verloren aber auch 9.000 Stimmen an die CDU. Die Christdemokraten war in allen Altersgruppen über 30 stärkste Partei. Bei den älteren Wählergruppen erzielte sie ihre besten Ergebnisse, etwa 50% bei den über 60jährigen, wie häufig bei Wahlen der vergangenen Jahre.

Kleine Bundestagswahl

Die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen zeichnen sich durch die Besonderheit aus, dass in 121 Wahlkreisen etwa 70% der im Normalfall 181 Mandate vergeben werden. Dies hat in der Vergangenheit immer die großen Volksparteien begünstigt. Auch 2017 teilten sich CDU und SPD die Direktmandate. Aber in jüngster Zeit ist auch bei den Grünen die Chance auf Direktmandate gestiegen, so dass dieser strukturelle Vorteil nicht mehr so groß sein dürfte. Da insgesamt etwa 13 Millionen Wahlberechtigte gemeldet waren, gelten Landtagswahlen in NRW schon immer als „kleine Bundestagswahl“. Hier trat die CDU am 15. Mai 2022 auch mit einem Amtsinhaber an, aber Hendrik Wüst kam erst im Oktober 2021 als Nachfolger von Armin Laschet ins Amt. Seither konnte die CDU in den Umfragen zulegen und lag im Mai 2022 meistens zwei Prozentpunkte vor der SPD. Kurz vor der Wahl schien der Vorsprung noch anzuwachsen. Auch die amtierende Landesregierung aus CDU und FDP wurde, laut Infratest dimap, mehrheitlich positiv bewertet. Hendrik Wüst wurde zwar kurz vor der Wahl ebenfalls mehrheitlich positiv gesehen, lag aber, laut Forschungsgruppe Wahlen, nur knapp vor dem Spitzenkandidaten der SPD Thomas Kutschaty. Aufgrund der kurzen Amtszeit war ein derart großer Amtsbonus wie bei Daniel Günther nicht zu erwarten gewesen. Die Kompetenzwerte waren für die CDU nicht so ausgeprägt wie in Schleswig-Holstein: Eine Woche vor der Wahl lag sie laut FG Wahlen im Bereich Wirtschaft klar vorn, im Bereich Verkehr zwar vor der SPD, aber knapp hinter den Grünen, die auch bei der Energiepolitik klar vorn lagen. Beim Thema Bildung lag die SPD vor der CDU. Bis zum Schluss war also ein Kopf-an-Kopf-Rennen zu erwarten gewesen.

Wie in Schleswig-Holstein lag die CDU auch in Nordrhein-Westfalen am Wahltag deutlich vorn: Sie kam auf 35,7% der Zweitstimmen bei einem Gewinn von 2,7 Punkten und lag damit noch deutlich über den letzten demoskopischen Vorhersagen. Die SPD verlor 4,5 Punkte und kam mit 26,7% auf das bisher schlechteste Ergebnis im Land. Die Grünen gewannen 11,8 Punkte und wurden mit 18,2% klar drittstärkste Partei. Die FDP als bisheriger Regierungspartner verlor 6,7 Punkte und kam noch auf 5,9%. Ebenso knapp in den Landtag schaffte es die AfD mit 5,4% bei einem Verlust von 2 Punkten. Die Linke kam auf 2,1%, die sonstigen Parteien auf 6,1%. Nach dem vorläufigen Ergebnis erhält die CDU 76 Sitze, die SPD 56, die Grünen 39 und FDP sowie AfD jeweils 12. Von den Direktmandaten gingen 76 an die CDU, 45 an die SPD und 7 an die Grünen. Eine Fortführung der bisherigen Regierung aus CDU und FDP ist daher nicht mehr möglich; Denkbar wären (neben einer großen Koalition) ein Bündnis aus CDU und Grünen sowie eine „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP. Die Wahlbeteiligung war mit 55,5% um 9,6% niedriger als bei der letzten Landtagswahl.

Unterschiedliche Voraussetzungen, ähnlicher Trend

Bei den Spitzenkandidaten lag Hendrik Wüst (bei der hypothetischen Direktwahl-Frage) zwar vor dem Herausforderer, aber mit 40% zu 34% bei weitem nicht so deutlich wie Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Laut Infratest dimap lag die CDU bei der Wahl in den Kompetenzfeldern Kriminalitätsbekämpfung (42 zu 20 Punkten), Wirtschaft (33 zu 24) und Verkehr (21 zu 18) vor der SPD, diese wiederum überholte die CDU in den Bereichen Arbeitsplätze (31 zu 29 Punkten), Bildungspolitik (28 zu 25), soziale Gerechtigkeit (41 zu 16) und bezahlbarer Wohnraum (40 zu 14). Das Wahlergebnis dürfte darauf hindeuten, dass die CDU in den für die Wahlentscheidung wichtigeren Themen vorne lag. Die Grünen hatten ihre besten Bewertungen bei Klima- und Energiepolitik sowie Verkehr. Außerdem erhielten sie die besten Werte auf die Frage, welche Partei die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft habe (24% gegenüber 17% für die CDU und 15% für die SPD). Die CDU konnte sich insgesamt in allen Altersgruppen besser halten als bei der Bundestagswahl; die Verluste bei den jüngeren Wählern waren geringer und bei den über 60jährigen lag sie mit 45% deutlich vor der SPD mit 32%. Bei den über 70jährigen waren dies sogar 50%; insgesamt konnte die CDU in allen Altersgruppen über 45 Jahren deutlich zulegen. Bei der SPD zog sich der Verlust quer durch alle Altersgruppen; bei den über 70jährigen war er noch am geringsten. Die Grünen konnten in allen Altersgruppen zweistellig zulegen; nur bei den über 70jähirgen war der Zugewinn mit 7 Punkten am geringsten. Die CDU konnte auch in allen Berufsgruppen zulegen; die SPD verlor in allen Berufsgruppen außer den Rentnern, wo sie zwar einen Punkt zulegte, aber mit 35% zu 45% deutlich hinter der CDU blieb. Die Grünen gewannen in allen Berufsgruppen deutlich; nur bei Arbeitern und Rentnern blieb der Zuwachs einstellig.

Ein differenziertes Bild zeigt die Wählerwanderung laut Infratest dimap: Die CDU gewann 250.000 Stimmen von der FDP und noch 40.000 von SPD und 20.000 von AfD. Sie verlor aber 140.000 Stimmen an die Grünen und 160.000 an die Nichtwähler. Die SPD verlor 300.000 Stimmen an die Nichtwähler, 260.000 an die Grünen und 40.000 an die CDU, konnte aber 60.000 von der FDP und 20.000 von sonstigen Parteien gewinnen. Die FDP verlor in alle Richtungen, während die Grünen von allen Seiten Stimmen holten, am meisten von SPD (260.000), CDU (140.000) und FDP (100.000).

Konnte die SPD nach der Landtagswahl im Saarland vom 27. März 2022 noch einen Rückenwind aus Berlin reklamieren, der den Wahlsieg der SPD mit befördert habe, so hat sich bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ein anderes Bild gezeigt. Die Grünen haben als einziges Mitglied der Ampel-Regierung in Berlin in den beiden Landtagswahlen vom Mai 2022 deutlich zugelegt. Die CDU hat in Schleswig-Holstein zweistellig zugelegt und in Nordrhein-Westfalen ohne wirklichen Amtsbonus des Regierungschefs mehr als erwartet Stimmen gewonnen. Die geringere Wahlbeteiligung ging offenbar vor allem zu Lasten der SPD, aber auch der Linken und der AfD. Die Wahlen haben erneut gezeigt, dass sowohl der Persönlichkeitsfaktor als auch die Kompetenzvermutungen in mehreren Politikfeldern eine entscheidende Rolle bei der Wahlentscheidung spielen. Themen wie Rente und soziale Gerechtigkeit sind seit den dramatischen Entwicklungen in der Ukraine ebenso in den Hintergrund getreten wie Umwelt und Klima sowie Corona. Die Frage künftiger Energieträger wird eher unter dem Gesichtspunkt der außenpolitischen Krisen gesehen. Wenn Putins Krieg in der Ukraine weitergeht, dürften diese Faktoren noch eine ganze Zeit relevant bleiben. Anders als bei der Bundestagswahl, als die Spitzenkandidaten von Union und Grünen ein Vakuum hinterließen, das der Kandidat der SPD ausfüllen konnte, waren Grüne und vor allem die CDU besser aufgestellt.

Das thematische Übergewicht von Fragen der Rente, der sozialen Gerechtigkeit und des Sozialstaats, das bei der Bundestagswahl 2021 kurz vor dem Wahltermin dominiert hatte und die SPD bei Senioren und Rentnern die entscheidenden Gewinne holen ließ, war bei beiden Landtagswahlen im Mai 2022 nicht mehr gegeben. Stattdessen waren Fragen der Sicherheitspolitik, der Wirtschaft und der Arbeitsplätze ebenso wichtig wie Energieversorgung und Preissteigerungen. Der CDU wurde auf diesen Gebieten in den beiden Ländern offenbar mehr zugetraut als letztes Jahr bei der Bundestagswahl. Unabhängig von der Zusammensetzung der jetzt zu bildenden Landesregierungen dürfte dies der Union auch im Bund für die nächste Zeit deutlichen Aufwind bescheren.

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Leitung: Dr. Gerhard Hirscher
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