Print logo

Interview zum Elysee Vertrag
60 Jahre Deutsch-Französische Freundschaft

Autor: Maximilian Witte

Bis aus dem Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich gemeinsam eine starke Achse der Kooperation für Europa werden konnten, musste viel gemeinsame Geschichte bewältigt werden. Der Elysee-Vertrag der am 22. Januar 1963 im Élysée-Palast geschlossen wurde, besiegelte die Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft bis heute. Wir haben Prof. Henri Ménudier nach den Hintergründen gefragt.

Ménudier steht an einem Rednerpult und spricht.

"Die deutsch-französische Annährung hat [...] gleich nach 1945 angefangen. Menschen, die unter dem dritten Reich gelitten hatten, waren oft die Ersten, die sich für die Aussöhnung engagiert haben." (Prof. Dr. Henri Ménudier, Politologe)

HSS: Herr Prof. Dr. Ménudier, wie entstand der Elysée-Vertrag?

Prof. Dr. Henri Ménudier: Es gab zwischen Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Adenauer ein gutes persönliches Verhältnis, das bei der ersten Begegnung im September 1985 in Colombey-les-Deux-Eglises (dem Landhaus von de Gaulle) begonnen hatte. Nach dem Erfolg der Staatsbesuche im Sommer 1962 (Adenauer in Frankreich und de Gaulle in der Bundesrepublik) wurde über eine Vertiefung der Zusammenarbeit nachgedacht. Die Idee des Vertrages kam von Adenauer, der damals 87 Jahre alt war. Der Bundeskanzler sollte im Oktober 1963 zugunsten von Ludwig Erhard, CDU, der nicht frankophil war, zurücktreten. Durch den Vertrag sollte er verpflichtet werden, die besonderen Beziehungen zu Frankreich weiter zu pflegen.

Was steht im Vertrag?

Eine gemeinsame Erklärung von Adenauer und de Gaulle betont, dass die alte deutsch-französische Rivalität durch die Versöhnung der Jahre 1945-1962 beendet ist. Jetzt kommt für heute und morgen die Zeit der Zusammenarbeit, der Freundschaft und der Solidarität. Der Aufbau Europas ist nun das erklärte Ziel beider Völker. Im Vertrag selbst sind regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs, der Minister und der leitenden Beamten der Ministerien angekündigt. Der Programmteil verspricht eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Außen-und Verteidigungspolitik sowie in Erziehungs- und Jugendfragen. Das Erlernen der Sprache des Partners wird besonders begrüßt.

Es gab doch eine Präambel?

Ja, die Außenpolitik de Gaulles war damals umstritten. In der CDU-CSU gab es Befürworter de Gaulles („die Gaullisten“ wie Adenauer und Strauß, der CDU-Außenminister Gerhard Schröder gehörte nicht dazu) und die Gegner de Gaulles („die Atlantiker“ zum Teil in der CDU-CSU und vor allem in der SPD und der FDP). Die vom Bundestag verabschiedete Präambel weist darauf hin, dass der Vertrag die Grundprinzipien der deutschen Außenpolitik nicht in Frage stellen darf. Es geht besonders um folgende Fragen: die Aufnahme Großbritanniens in die EWG (De Gaulle war dagegen), die europäische Einheit, die Zusammenarbeit in der NATO und der USA und um die deutsche Vereinigung. Es war wie eine Ohrfeige für de Gaulle, der sehr enttäuscht war. Die Frage nach dem Überleben des Vertrages war damit gestellt.

Der Vertrag trat trotzdem in Kraft?

Die ersten Jahre mit Bundeskanzler Erhard (1963-1966) waren ergebnislos. De Gaulle bekämpfte die EWG, verließ die Militärorganisation der NATO und nährte sich der UdSSR. Erst mit Georges Pompidou und Willy Brandt (1969-1974) gab es Fortschritte; Großbritannien wird Mitglied der EWG und Paris unterstützt die Ostpolitik. Die engste Zusammenarbeit gab es zwischen Valery Giscard d´Estaing und Helmut Schmitt (1974-1981). Der europäische Rat der Staats- und Regierungschefs trifft sich seit 1974 und seit 1979 wird das Europaparlament direkt gewählt. Giscard und Schmitt haben die Grundlage für die Einführung des Euros vorbereitet. Trotz Differenzen wegen der deutschen Einheit haben auch François Mitterrand und Helmut Kohl gut zusammengearbeitet. Wir verdanken ihnen das Schengen-Abkommen und der Vertrag von Maastricht(1985 und 1993). Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (2005-2021) hat mit vier verschiedenen französischen Staatspräsidenten (Chirac, Sarkozy, Hollande und Macron) zu tun gehabt.

Sie haben den Vertrag von Aachen nicht erwähnt?

Er wurde am 22. Januar 2019 von Angela Merkel und Emmanuel Macron am damaligen Sitz von Karl den Großen  unterschrieben. Der Elysee-Vertrag bleibt bestehen aber Aachen vertieft und ergänzt einige seiner Ziele, weil beide Länder sich zwischen 1963 und 2019 verändert haben. Ein Bürgerfonds von 5 Millionen Euro soll jährlich die deutsch-französischen Aktivitäten der Zivilgesellschaft fördern. Die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, Städten und Regionen bekommt einen neuen Impuls. Elsass und Lothringen haben Baden Württemberg, Rheinlandpfalz und das Saarland als Nachbarn; die Zusammenarbeit in diesen Grenzgebieten wird besonders vertieft. Einmalig ist die Gründung einer deutsch-französischen Versammlung mit 50 Abgeordneten der Assemblée Nationale und 50 Bundestagsabgeordnete. Sie soll die Arbeit der Regierungen kritisch begleiten und eigene Vorschläge erarbeiten.

Welche sind für Sie die großen Errungenschaften des Elysee-Vertrags?

Durch die regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs, der Minister und der hohen Beamten hat der Elysee-Vertrag eine permanente Zusammenarbeit der Regierungen und der Verwaltungen ermöglicht. Die deutsch-französische Parlamentarische Versammlung sorgt für eine bessere Koordinierung der Politik, vor allem im Bereich der EU. Es gibt auch eine ganze Reihe von Räten und Strukturen, die die Zusammenarbeit der Regierungen begleiten. Darüber hinaus gibt es intensive Austausche in Bereichen wie die Wirtschaft, die Kultur und die Zivilgesellschaft, die genauso wichtig wie die Politik sind. Was auffällt, ist die Vielfalt und die Qualität der Akteure.

Welche Rolle spielen die Städtepartnerschaften und das DFJW?

Die deutsch-französische Annährung hat nicht 1963 sondern gleich nach 1945 angefangen. Menschen, die unter dem dritten Reich gelitten hatten, waren oft die Ersten, die sich für die Aussöhnung engagiert haben. Die Treffen der Bürgermeister fanden zuerst in der Schweiz statt, dann wurde die Internationale Bürgermeisterunion gegründet. Die erste Partnerschaft wurde 1950 zwischen Ludwigsburg und Montbéliard gegründet. Der französische Bürgermeister (Lucien Therradin) war ein Überlebender der KZ. Heute haben wir etwa 2200 Partnerschaften. Der Jugendaustausch begann schon 1946, da durch bekamen viele Familien ein positives Bild des Nachbarlandes. Der Erfolg des DFJW ist beachtlich. Es gibt jedes Jahr ca. 8000 Austausch- und Begegnungsprogramme für ungefähr 200 000 junge  Menschen. Seit 1963 haben über 9 Millionen Jugendlichen an diesen Aktivitäten teilgenommen. Städtepartnerschaften und Jugendaustausche sind voneinander sehr abhängig.

Haben Sie Sorgen bezüglich der Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen?

Das Erlernen der Sprache des Partners war ein wichtiger Teil des Programms des Elysee-Vertrags. Jahrelang hat man sich bemüht, es zu unterstützen und zu fördern. In den letzten Jahren haben diese Bemühungen nachgelassen, so dass die Sprache des Nachbars stark abgenommen hat. Die gleiche Entwicklung betrifft Deutschland und Frankreich. Werden wir eine sprachlose deutsch-französische Verständigung erleben? Ich stelle auch fest, dass Frankreich hoch verschuldet ist, mehr als Deutschland, und dass belastet das deutsch-französische Verhältnis. Früher waren Frankreich und Deutschland jeweils die ersten Handelspartner. Deutschland bleibt Partner Nr. 1 für Frankreich, aber Frankreich ist auf Platz Nr. 4 des deutschen Außenhandels gerutscht.

Wie erklären Sie einem jungen Publikum, warum der Elysee-Vertrag und die Geschichte des deutsch-französischen Verhältnisses so wichtig sind?

Man kann deutlich machen, wie schrecklich die letzte Reihe der deutsch-französischen Kriege (1870-1871, Erster und Zweiter Weltkrieg) war. 75 Kriegsjahre zwischen 1870 und 1945, 77 Friedensjahre seit 1945. Ich glaube, dass dieser Vergleich für junge Menschen verständlich ist. Es ist wichtig zu erklären, dass Deutschland und Frankreich der jungen Generation ein friedliches, demokratisches und freies Europa mit einem enormen Kultur- und Naturerbe weitergeben. Ein Europa mit einem hohen Wohlstand trotz großen sozialen Unterschieden. Es ist eine großartige Aufgabe junge Menschen mit Europa vertraut zu machen. Wir dürfen nicht vergessen, dass bei den nächsten Europa-Wahlen 2024 die 16 und 17jährigen in Deutschland wählen sollen.

Wir sind Nachbarn, wir haben eine lange Geschichte hinter uns, die vom Krieg und Frieden aber auch von zahlreichen Austauschen geprägt ist. Die junge Generation steht vor großen Herausforderungen. Die Grundlagen der deutsch-französischen Zusammenarbeit und der europäischen Union sind fest genug um sie weiter auszubauen.

Herr Prof. Ménudier, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt

Redakteur: Maximilian Witte
Onlineredaktion/Internet
Redakteur
Telefon: 
E-Mail: