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100 Jahre Sykes-Picot-Abkommen: Europäische Grenzen im Orient?

Im Dickicht persönlicher Fehden und machtpolitischen Kalküls entstand auf einem Nebenschauplatz des Ersten Weltkrieges ein Abkommen, dem noch heute nachgesagt wird, die Grenzen im Nahen Osten zu prägen. Zum 100. Jahrestag diskutierte ein international besetztes Panel seine historischen Hintergründe sowie aktuelle Bedeutung.

Alexander Radwan, Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages

Alexander Radwan, Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages

In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Alexander Radwan, MdB, Ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages, James Barr und Prof. Dr. Elie Podeh von der Hebräischen Universität Jerusalem unter der Leitung von Richard Asbeck, Projektleiter für Israel und die Palästinensischen Gebiete, Hanns-Seidel-Stiftung e.V., die Auswirkungen des Sykes-Picot-Abkommens auf die heutige Lage und die europäische Verantwortung für diese Region.

In der Diskussion ergänzte Barr, dass westliche Akteure wie zu Zeiten des Sykes-Picot-Abkommens auch in der Gegenwart noch unterschiedliche Konfliktparteien im Nahen Osten unterstützten. Entsprechend könne die Austragung von Stellvertreterkonflikten in dieser Region bis heute nicht als überwunden gelten.

Elie Podeh, Hebräische Universität Jerusalem

Elie Podeh, Hebräische Universität Jerusalem

Laut Podeh stünden die gegenwärtigen, staatlichen Grenzen – außer womöglich die Syriens – nicht mehr zur Debatte. Um die Befriedung der Region zu fördern, gelte es deshalb neben der staatlichen Infrastruktur das jeweilige kollektive Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Zur nachhaltigen Stabilisierung der Länder mangele es seiner Meinung nach bisher an einer ausreichenden Differenzierung zwischen Konzepten der Nationen- und Staatenbildung. Was den Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina angehe, so sei eine Einstaatenlösung aus Sicht Podehs ausgeschlossen. Die Lage sei schwierig, da, wie es erscheine, von Seiten der verschiedenen Konfliktparteien am Status Quo festgehalten werde. Mit Blick auf den Islamischen Staat befand Podeh den Einsatz des Westens als zu gering.

James Barr, Elie Podeh, Alexander Wolf, Alexander Radwan, Richard Asbeck

James Barr, Elie Podeh, Alexander Wolf, Alexander Radwan, Richard Asbeck

Radwan mahnte eine differenziertere Sicht auf die Region und ihre kulturellen Unterschiede an. Als entsprechend wichtig bewerte er den Dialog der verschiedenen regionalen Gruppierungen untereinander, deren jeweilige Interessen es zu integrieren gelte. Mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gehe ebenso auch Eigenverantwortung zur Konfliktbewältigung einher. Um die gegenwärtige Perspektivlosigkeit in der Region zu überwinden, bedürfe es deshalb konkreter Lösungsvorschläge der betroffenen Länder selbst. Gerade als direkter Nachbar solle Europa sich jedoch unterstützend einbringen, nicht zuletzt, da die Folgen eines instabilen Orients bis hierher spürbar würden, bspw. in Form von Flüchtlingsströmen. Radwan schloss deshalb ein europäisches Engagement über humanitäre Hilfe hinaus nicht aus. Zudem forderte er, westliche Prinzipientreue in diesem Fall zu überwinden, wenn es darum gehe, regionale Machthaber als Gesprächspartner zu identifizieren, um mit deren Hilfe erst einmal das nötige Maß an Stabilität herzustellen bzw. aufrecht zu erhalten.

Keynote „A Line in the Sand“ von James Barr, King’s College London

Keynote „A Line in the Sand“ von James Barr, King’s College London

Nach der Eröffnung der Veranstaltung durch Dr. Alexander Wolf, Leiter des Hauptstadtbüros der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., zeichnete der Historiker James Barr vom King’s College London im Rahmen einer Keynote das Zustandekommen des Sykes-Picot-Abkommens nach. Er ordnete die geheimen Verhandlungen über britische und französische Einflusszonen als Nebenschauplatz des Ersten Weltkriegs ein und schilderte die individuellen Strategien, welche die jeweiligen Akteure im Interesse ihrer Nation zu verfolgen glaubten. Denn die Biografien der beiden Protagonisten Sykes und Picot könnten als ein wichtiger Schlüssel gelten, um das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Großbritannien und Frankreich zu verstehen. Beide auf ihre Weise geschickte Taktiker, habe sich der charismatische Sykes stets auf sein durch Reisen gewonnenes Verständnis für die Region berufen, während das Denken des elitären Picots als imperialistisch charakterisiert werden könne. Im Ergebnis sei keine der beiden Seiten mit dem Resultat zufrieden gewesen. Und obwohl die damals definierten Einflusszonen bis heute vielfach als Ursache für die Grenz- und Souveränitätskonflikte in der Region gelten würden, könne das Sykes-Picot-Abkommen lediglich als Symptom, nicht aber als Grund für die Instabilität des Nahen Ostens gelten. Denn Versuche der Kolonialisierung der Levante durch den Westen würden weit länger zurückreichen.